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Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Titel: Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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nachgejagt, nur um dann, mitten in diesen Momenten niederschmetternder Erfolglosigkeit, auch noch den gewaltsamen Tod Caroline Klenks hinnehmen zu müssen. Alle Arbeit, alles Bemühen hatte nichts gebracht, nicht einmal das Leben dieser zweiten jungen Frau hatten sie retten können.
    »Du siehst müde aus«, hatte Ann-Katrin Räuber ihm mehrfach in diesen Tagen voller Sorgen attestiert, »diese Sache reibt dich zu sehr auf. So kann das nicht weitergehen.«
    War es ein Wunder? Hektische, überaus betriebsame Tage, schlaflose Nächte – wie sollte er das bewältigen? Jede Ermittlung erfordert dauerhafte professionelle Distanz, hatte er auf der Polizeiakademie in Villingen-Schwenningen gelernt, Abstand zu dem, was geschehen ist, Abstand auch und vor allem zum Leid der Opfer.
    Dämliche theoretische Wortspielereien, war es ihm in solchen Phasen bewusst, von Leuten formuliert, die die meiste Zeit am Schreibtisch oder vor dem Fernsehmonitor verbrachten. Wie sollte er Distanz schaffen zu dem Anblick, mit dem er an jenem Abend unterhalb der Comburg konfrontiert worden war, – wie? Wie Abstand herstellen zu den Momenten, in denen er an der Grundmauer der Burg Teck Caroline Klenks zerschmetterten Körper hatte begutachten müssen?
    »Heute hältst du dich von allem fern, was auch nur entfernt mit der Ermittlung zu tun hat«, hatte seine Lebensgefährtin am Sonntagmorgen erklärt, »ohne jede Ausnahme.«
    Sie hatten es gemeinsam versucht, waren nach einem gemütlichen Frühstück mit der Stadtbahn zum Mineralbad in Cannstatt gefahren, hatten sich dort zwei Stunden im Wasser geaalt, waren dann anschließend nach einem Bummel durch den Kurpark in Sophie ’s Brauhaus in der Stuttgarter Innenstadt eingekehrt. Braig hatte zwar immer noch nicht zur erwünschten inneren Ruhe gefunden, sich dennoch zu einem kurzen Nachmittagsschlaf überreden lassen. Kurz nach 16 Uhr waren sie dann, ab Waiblingen – von Neundorf und ihrem Partner begleitet, – nach Winnenden aufgebrochen.
    Dr. Kai Doldes Orgelkonzert in der weithin bekannten Winnender Schlosskirche stellte alles in den Schatten, was Braig in den letzten Jahren an klassischem Musikgenuss erlebt hatte. Die unmittelbar neben dem Schloss der kleinen Stadt gelegene Kirche war, wie der gastgebende Pfarrer zu Anfang der gut besuchten Veranstaltung ausführlich erklärte, im 14., ein Vorgängerbau sogar schon im 9. Jahrhundert errichtet worden. Berühmtheit erlangt hatte das evangelische Gotteshaus durch seinen in der Reformationszeit, dem frühen 16. Jahrhundert, aus Tannen- und Lindenholz geschnitzten Jakobsaltar, einem der wenigen spätgotischen Hochaltäre Süddeutschlands. Der dreiteilige Figurenschrein nahm mit seinem Aufsatz aus gotischen Zier­skulpturen die gesamte Breite und Höhe des Chores ein. Am Pilgerweg nach Santiago de Compostela gelegen, bildete die sitzend dargestellte Figur des Sankt Jakobus den Mittelpunkt des Altars. Die Schnitzereien zeigten einen legendären Abriss seines Lebens, von der Predigt des christlichen Glaubens über die Bekehrung des Zauberers Hermogenes und viele andere seiner angeblichen Wundertaten bis zur Hinrichtung des Jakobus und der Überführung seines Leichnams nach Spanien.
    Die schlichte Einrichtung der von hellen Pfeilern dominierten Kirche erlaubte es den Konzertbesuchern, sich ganz auf Doldes virtuose Kunstfertigkeit zu konzentrieren. Der Organist begann sein Konzert mit Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-moll, präsentierte dann Felix Mendelssohn-Bartholdys Sonate opus 65 Nr. 6 in d-moll, die sogenannte Vaterunser-Sonate, bevor er als Höhepunkt des Abends zu Olivier Messiaens Zyklus La Nativité du Seigneur überging, musikalischen Meditationen, die Gedanken an die erst vor kurzem vergangene Weihnachtszeit aufkommen ließen.
    Braig versank mehr und mehr in den für ihn ungewohnten Klangwelten, tauchte – zum ersten Mal in diesen Tagen – völlig aus seiner gewohnten Umgebung, den Schattenseiten des Lebens, Hass, Leid und Zerstörung ab. Er gab sich Doldes meisterlich vorgetragenen Tonkombinationen hin, fand wie andere Konzertbesucher mehr und mehr zu der Frage, wie es einem promovierten Verfahrenstechniker, der sich sein Geld als überaus engagierter kriminalistischer Spurensicherer verdiente, gelingen konnte, Menschen musikalisch auf solch virtuose Weise in andere Realitäten zu entführen.
    Sie ließen den Abend in Ulli ’s Café in der Winnender Fußgängerzone ausklingen, diskutierten über scheinbar widersprüchliche

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