Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
dem Laden einkaufen war. Wenn wir Glück haben, hat sie die Männer beobachtet oder ihr Auto gesehen. Wir müssen die Frau finden. Kannst du mir bitte ihr Gesicht vergrößern?«
Dolde sagte zu, sich umgehend um das Foto zu kümmern.
16. Kapitel
Das schwäbische Harvardle, wie ein als besonders clever apostrophierter Ministerpräsident die ESB Reutlingen in Anerkennung ihrer vielen wissenschaftlichen Auszeichnungen betitelt hatte, lag auf einer Anhöhe am westlichen Rand Reutlingens. Der aus einem weitläufigen Komplex moderner mehrstöckiger Gebäude bestehende Universitäts-Campus bot, wie Braig sich an diesem Morgen selbst überzeugen konnte, eine prächtige Rundumsicht auf verschiedene Reutlinger Stadtteile, den sich im Halbrund südlich und östlich der alten, traditionsreichen Stadt jäh erhebenden Albtrauf mit seinem markantesten Punkt, der Achalm wie auf mehrere der Stadt benachbart liegende Ortschaften.
Die ESB Business School Reutlingen University, wie sich die staatliche Hochschule nannte, zählte seit mehreren Jahren zu den renommiertesten betriebswirtschaftlichen Ausbildungsstätten Deutschlands und belegte – wie es dem Kommissar zu Beginn seiner Unterredung in mehreren Grafiken verdeutlicht wurde – in sämtlichen Hochschulrankings der letzten Zeit regelmäßig Spitzenpositionen, die hohe Qualität ihrer Arbeit damit illustrierend. Gelebte Internationalität mit Hochschulpartnern in Frankreich, England, Spanien, Irland, Italien, Mexiko, den USA und anderen Ländern und eine praxisfundierte Orientierung ihrer Ausbildung galten von Anbeginn ihrer Gründung an als Leitbilder der vom Land Baden-Württemberg getragenen Hochschule. Jahr für Jahr schlossen sich neue international tätige Firmen der Ausbildungs-Kooperation mit der so hoch geschätzten Lernfabrik an, ein wahres Who is Who der renommiertesten deutschen Unternehmen, wie sich Braig auf einer scheinbar nicht endenwollenden Aufzählung selbst überzeugen konnte. Dass es sich auch bei der von der Hochschul-Leitung betonten multinationalen Herkunft ihrer Studentinnen und Studenten nicht um eine inhaltsleere Floskel, sondern um die korrekte Beschreibung der realen Hochschulsituation handelte, hatte Braig schon beim Betreten des Campus bemerkt: Junge Frauen und Männer verschiedenster Nationalitäten waren in und um die Universitätsgebäude unterwegs. Ein Flair von vorurteilsloser Weitläufigkeit schien die Atmosphäre des gesamten Areals auf der Anhöhe über Reutlingen zu prägen – ein Geist von Toleranz den Erwerb international gültiger Kenntnisse betriebswirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten zu fördern. Und genau hier sollten die Hintergründe des Mordes an Markus Schmiedle verborgen liegen?
Noch auf der Rückfahrt von Lorch nach Stuttgart am Vorabend hatte Braig im Sekretariat der Hochschulverwaltung angerufen und sich einen Termin für den nächsten Morgen bei Professor Peter Maurer, dem – wie Kober ihm berichtet hatte – wissenschaftlichen Betreuer Schmiedles geben lassen. »Herr Schmiedle ist uns bekannt, selbstverständlich«, hatte die Frau auf seine Frage sofort geantwortet, »er war mehrere Jähre bei uns als Dozent tätig.«
Unmittelbar nach dem Gespräch hatte er sich mit Stefanie Riedinger unterhalten und von ihr erfahren, dass Schmiedle seit eineinhalb Jahren geschieden war und seither – ihrer Kenntnis nach – allein in Metzingen lebte. Seine Eltern waren beide erst vor kurzem gestorben, seine Schwester, eine inzwischen in Dortmund verheiratete Frau Jäger mit Ehemann und zwei kleinen Kindern seit Jahren nicht nur räumlich, sondern, wie sie ihr wortwörtlich mitgeteilt hatte, auch gefühlsmäßig weit von ihrem Bruder entfernt. Seine ständigen Beziehungswechsel, hatte Michaela Jäger formuliert, seien weder nachvollziehbar noch nervlich zu ertragen gewesen, jedenfalls nicht für einen ihm ursprünglich nahestehenden Menschen wie sie. Weihnachten habe man in den letzten Jahren noch miteinander gefeiert, sich sonst ab und zu mal per E-Mail oder Telefon verständigt, aber selten, höchstens einmal im Monat. Freunde oder eine gegenwärtige Lebenspartnerin seien ihr nicht bekannt.
Riedinger hatte Braig versprochen, die private Seite Schmiedles zu übernehmen, heute am frühen Morgen seine Wohnung auf allgemeine Hinweise bzw. befreundete Personen hin zu untersuchen und die Nachbarn zu befragen.
Die Liste seiner Telefonate hatte er kurz nach 18 Uhr mit Söderhofers Evaluations-Briefing beendet, dessen forciertes
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