Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Brainstorming dann nach Auffassung des Staatsanwalts in einer expliziten Effizienzoptimierung ihrer Ermittlungen resultierte. Er war ruhig geblieben, hatte die Fragen des Mannes mit der gebotenen Zurückhaltung und bemühter Höflichkeit beantwortet und ihm versprochen, das nächste Briefing am folgenden Mittag Punkt 12 Uhr durchzuführen.
Das Gespräch mit Professor Maurer in den Räumen der Reutlinger Hochschule schien dagegen weit mehr neue Informationen zu vermitteln als die Worthülsenklauberei des Staatsanwalts.
»Na ja«, erklärte der Wissenschaftler in seinem hellen, mit breiten Fensterfronten ausgestatteten Büro im ersten Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes auf Braigs Frage nach Personen und Institutionen, denen das Modell Schmiedles sagen wir mal nicht gerade besonders gelegen kommt oder gar überhaupt nicht in den Kram passt, »zuerst ist das nicht nachvollziehbar, dass irgendjemand etwas dagegen haben könnte.«
»Mir fällt es jedenfalls schwer, solche Personen zu finden«, gestand Braig. »Sofern ich den Sinn und die Struktur des Modells richtig verstanden habe.«
»Sie haben sich damit beschäftigt?«
»Beschäftigt ist zu viel gesagt. Herr Kober, der Geschäftsführer der Firma Göttler, bei der es verwirklicht wurde, hat es mir in Kurzform erklärt.«
»Die Firma Göttler, ja«, bestätigte Maurer, »das ist Schmiedles Meisterstück. Dort hat er gezeigt, dass das Modell in der Realität funktioniert, genau wie in der Theorie berechnet. Die Firma geriet vor einigen Jahren in Schwierigkeiten, weil ein großer Kunde von einem Tag auf den anderen ausfiel. Unvorhersehbar, wie es halt oft läuft im Leben. Das hätte sie beinahe in die Insolvenz getrieben.«
»Wenn Herr Schmiedle sich nicht um die Firma bemüht hätte.«
»So können Sie das sagen, genau. Auf unnachgiebiges Betreiben einiger Betriebsräte hin, die von seinen Berechnungen gehört hatten. Innerhalb weniger Wochen brachten sie die Besitzer und die Geschäftsführung an einen Tisch und handelten die Verwirklichung seines Modells aus. Es sorgt im Prinzip dafür, dem geringeren Arbeitsvolumen nicht wie bisher allgemein üblich durch Entlassungen Rechnung zu tragen, sondern durch die Verminderung der Arbeitszeit aller bei der Firma Beschäftigten. Der daraus resultierende niedrigere Verdienst wird für die unteren und mittleren Gehaltsstufen deutlich abgemildert indem die Spitzenlöhne gekappt und Lohnerhöhungen nicht mehr prozentual, sondern im genau gleich großen Umfang für alle Angestellten erfolgen. Damit werden soziale Härten trotz der reduzierten Arbeitszeit weitgehend vermieden.«
»Dann habe ich das Modell richtig verstanden. Umso schwerer fällt es mir, nachzuvollziehen, dass sich Herr Schmiedle damit solche Feindschaften zugezogen haben soll, dass man ihm deswegen nach dem Leben trachtete.«
»Das ist auf den ersten Blick in der Tat nicht nachvollziehbar.« Maurer fuhr sich mit der Rechten durch sein schütteres hellblondes Haar, griff dann nach seiner Krawatte, zog sie gerade. Er trug einen fein glänzenden, silbergrauen Anzug, ein hellgrünes Hemd, dazu die mit kleinen weißen Punkten bestückte braune Krawatte. Braig schätzte ihn auf Mitte, Ende Vierzig, hatte sich von ihm berichten lassen, dass er seit fast acht Jahren an der Hochschule tätig war. »Wenn Sie jetzt Namen von Leuten erwarten, denen ich es zutraue, dass sie Herrn Schmiedle seines Modells wegen getötet haben könnten, muss ich Sie enttäuschen.«
»Nein, das erwarte ich nicht«, erwiderte Braig, »ich bin schon zu lange in meinem Beruf tätig, um zu wissen, dass das Leben nicht so einfach funktioniert: Hier die Guten, dort die Bösen. Aber es muss doch möglich sein, darüber nachzudenken, ob es Personen gibt, denen sein Modell nicht in den Kram passt. Herr Kober deutete das jedenfalls an.«
Maurer hatte Braigs letzte Worte mit zustimmendem Kopfnicken verfolgt. »Nachdenken können wir, selbstverständlich. Und natürlich gibt es bestimmte Kreise, die Schmiedles Modell sofort als indiskutabel erklärten, als sie auch nur schon von den ersten Andeutungen hörten.«
Der Kommissar sah erstaunt auf. »Von wem sprechen Sie?« Sein Gegenüber erhob sich von seinem Stuhl, trat ans Fenster, schaute nach draußen. »Na ja, zuerst mal natürlich die Vertreter der Leute, die von ihm nicht profitieren, sondern die Nachteile zu spüren bekommen.«
»Wer soll das sein?«, fragte Braig. Er folgte den Blicken des Mannes, sah den Albtrauf wie eine mit dem Lineal
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