Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
alle«, bestätigte Kober. »Zwei Abteilungsleiter haben gekündigt. Aber die anderen machen mit. So konnten wir den Abbau von etwa 400 Arbeitsplätzen vermeiden.«
Braig glaubte, nicht richtig zu hören. »Das klingt revolutionär. Gerade jetzt in der globalen Wirtschaftskrise. Wo ist der Haken an der Sache?«
»Es gibt keinen Haken. Die höheren Gehälter sind alle eingefroren, ihre Zuwächse wesentlich geringer als sonst. So werden soziale Härten für die kleineren Einkommen aufgefangen. Der Betriebsrat muss die neue Struktur absegnen und den Vertrag unterschreiben, das ist alles.«
»Wieso ist dieses Modell nicht bekannter? Jetzt, in der Wirtschaftskrise, wenn auf Dauer wesentlich weniger Autos und Maschinen produziert werden – und es ist doch absehbar, dass es dabei bleibt – so könnten Massenentlassungen doch vermieden werden. Warum macht Schmiedles Idee nicht mehr Furore?«
»Ganz einfach.« Kober hatte die Antwort sofort parat. »Markus wollte erst abwarten, ob sich sein Modell in der Realität wirklich bewährt. In seiner Doktorarbeit hat er die theoretischen Grundlagen zwar detailliert ausgearbeitet, aber wie das dann in der Praxis aussieht? Deshalb war er auch bereit, bei uns einzusteigen, traf er bei uns doch genau die Probleme an, die sein Modell zu lösen verspricht. Und es hat die Erwartungen voll erfüllt, das lässt sich eindeutig feststellen. Heute in der Liederhalle will er es präsentieren, das theoretische Fundament und die Umsetzung in die Praxis am Beispiel unserer Firma. Sein Vortrag wurde mit großer Spannung erwartet – die Creme de la Creme der Betriebswirtschaft und der Unternehmensberater hat sich angekündigt, mein Gott und jetzt ist er …« Kober verstummte, schüttelte den Kopf.
Die alte Frau neben ihm setzte ihre Finger in Bewegung, trommelte auf den Tisch.
»Tot, wirklich tot?«
Braig schaute an ihm vorbei, wusste nicht, was er sagen sollte.
»Das darf nicht wahr sein.« Kober fuhr seiner Tante zärtlich über den Arm, ließ ihr Klopfen verstummen. »Das hat mit seinem Vortrag zu tun«, sagte er, »irgendjemand hat das nicht gepasst und wollte verhindern, dass die Ergebnisse bekannt werden. Sie müssen nach Reutlingen in die Hochschule. Sprechen Sie mit seinem Kollegen. Der kann Ihnen garantiert erklären, wem sein Modell total in die Quere kommt.«
15. Kapitel
Die Koordination der Wachdienste in dieser Nacht hatte Ohmstedt übernommen. Fast eine Stunde lang hatten sie im Beisein der Staatsanwältin darüber diskutiert, was dafür und was dagegen sprach, die ganze Maschinerie erneut in Gang zu werfen, unzählige Beamtinnen und Beamte der Schutzpolizei dazu zu zwingen, auf ihre Nachtruhe zu verzichten. War der gigantische Aufwand, gerade angesichts des Misserfolgs der vergangenen vierundzwanzig Stunden wirklich noch zu rechtfertigen?
Sie hatten sich nach langem Hin und Her und mit ausdrücklicher Unterstützung von Thekla Kliss dafür entschieden, hatten ihren – zumindest der Planung nach – unsichtbaren Schutzschild für einen Großteil der Tankstellen im Ländle wieder aufgebaut – wie sich am nächsten Morgen zeigte, zumindest in dem Sinn vergeblich, als niemand bei dem Versuch eines Überfalls hatte überrascht und überwältigt werden können. Vom Geschehen des Vortags gewarnt, hatten sie die Überwachung bis 8 Uhr durchgehalten, erst bei längst wieder ins Land gekehrtem Tageslicht die Beamten abgezogen.
»Keine verdächtige Beobachtung, nirgends?« Neundorf war beim Betreten des Büros auf einen lädierten, unübersehbar übernächtigten Kollegen gestoßen.
»Null«, hatte Ohmstedt das enttäuschende Resümee gezogen, »absolut null.«
Sie hatten sich über die dringendsten Aufgaben ihrer Ermittlungen verständigt, die Durchsicht der beiden Videobänder der Ludwigsburger Tankstelle bis zur Zerstörung der Kameras, das Gespräch mit Wössner sowie die Erkundung der geraubten Summe bei der Regionalverwaltung des Tankstellenshops, waren dann bis zu einem am späten Nachmittag vereinbarten Treffen ihrer Wege gegangen.
Die Aufzeichnungen der Videokameras zu verfolgen, war ein ermüdendes Unterfangen, Neundorf wusste es von unzähligen früheren Aktionen. Kunden kamen und gingen, holten sich verschiedene Artikel aus den Regalen, bezahlten, von beiden Kameras aus verschiedenen Positionen aufgenommen. Von vorne, von der Seite, von hinten, aus der Ferne. Es war ermüdend, ohne Abwechslung, immer dasselbe. Zwanzig, dreißig Minuten lang volle Konzentration, dann
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