Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
zwei Jahre begrenzten Dienst in Stuttgart, noch dazu beim polizeiintern fast schon sagenumwobenen Landeskriminalamt antreten zu können, war ihm da wie ein Volltreffer im Lotto erschienen: Nicht nur, dass der Job in der Landeshauptstadt eine wenn auch bescheidene Gehaltserhöhung, noch dazu – zumindest langfristig – bessere berufliche Aufstiegschancen mit sich brachte, verhieß er auch – und das durchaus im wortwörtlichen Sinn – eine Erweiterung seiner privaten Erkundungstätigkeit. Mehr junge Frauen in unmittelbarer Umgebung als im etwa drei Millionen Einwohner zählenden Großraum Stuttgart gab es nirgendwo sonst im Ländle. Das Gerücht, in und um die schwäbische Metropole stehe ein großer Teil der Weiblichkeit unverbindlichen, aber nichtsdestotrotz physisch äußerst intensiven Begegnungen mit naschsüchtigen männlichen Existenzen noch aufgeschlossener gegenüber als in der Provinz tat ein übriges, sein Interesse am Wechsel zum LKA zu steigern. Die Chancen, dieses Gerücht auf seine realen Hintergründe zu überprüfen, durfte Mann sich nicht entgehen lassen, der beruflichen Perspektive kam da fast nur noch sekundäre Bedeutung zu. Ohne langes Überlegen war Aupperle deshalb auf den Zug, der ihn nach Stuttgart, genauer in das auf der anderen Seite des Neckars gelegene Bad Cannstatt, führte, aufgesprungen und hatte sich ins vermeintlich aufregende Großstadtleben gestürzt.
In den ersten neun Wochen waren die aufregenden Momente in der neuen Umgebung allerdings vollkommen auf den beruflichen Bereich beschränkt geblieben. Im Stress von der Politik vorgegebener, innerhalb kürzester Zeit mit allen Mitteln zu erzielender Ermittlungserfolge hatte die Leitung des Amtes angeordnet, alle verfügbaren Kräfte auf die Durchforstung des Internets zur Identifizierung kinderpornographischer Hintermänner anzusetzen. Hunderte, wenn nicht Tausende solcher menschenverachtender Anbieter wie Konsumenten tummelten sich zwar schon seit unzähligen Jahren im virtuellen Netz, doch war das Thema erst jetzt, wenige Wochen vor wichtigen Wahlen von um die Steigerung der eigenen Auflagenzahlen bemühten einflussreichen Medien hochgekocht und ins Rampenlicht gehievt worden. Die etablierten Parteien sahen sich zu – wenn auch weitgehend völlig sinnlosen – hektischen Aktivitäten veranlasst, die Mitarbeiter unzähliger Polizeibehörden zu Wochen-währender Mattscheibenbeobachtung gezwungen.
Sich der so zahlreich in der nahen Umgebung umherflanierenden jungen Weiblichkeit zu widmen, war Aupperle deshalb, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weder im Januar noch im Februar gelungen. Die ewig langen Wochen im Amt, viele Samstage, ja sogar Sonntage inbegriffen, Stunde um Stunde vor unablässig flimmernden Monitoren und unappetitlichen, teilweise widerlich abschreckenden Bildern verbringend, hatten seinen Drang nach verlockend duftenden Blüten spürbar gemindert. Das Leben in der größeren Stadt hatte sich somit vorerst nur durch drastisch erhöhte Arbeitsleistung vom vorherigen Dasein unterschieden – der potenziell vorhandenen Karrierechancen wegen sogar mit dem Verzicht auf jedweden Ausgleich der Überstunden.
Um so erfreuter hatte Aupperle am frühen Mittag das Angebot seines unmittelbaren Vorgesetzten angenommen, jetzt, nach der erfolgreichen Identifizierung mehrerer Kinderpornographie-Anbieter und dem darauf folgenden nachlassenden Druck von Seiten der Politik in die Abteilung Gewaltkriminalität zu wechseln, um die händeringend nach Mitarbeitern suchende Kommissarin Stefanie Riedinger darin zu unterstützen, das persönliche Umfeld des am Tag zuvor in der Stuttgarter Liederhalle ermordeten Personalchefs der Firma Göttler, Mark Schmiedle, auf potenzielle Täter hin zu überprüfen. Voller Freude hatte er sich der, wie er von seiner ersten Begegnung im Januar und der darauf erfolgten intensiven Erkundung ihrer Person her wusste, leider sechs Jahre älteren bildhübschen Kriminalkommissarin vorgestellt und sich in den aktuellen Ermittlungsstand einweisen lassen. Seine Begeisterung war in galaktische Höhen geschnellt, als sie ihm seine konkreten Aufgaben dargelegt hatte.
»Herr Schmiedle scheint in den letzten Jahren viele Beziehungen zu verschiedenen Frauen gepflegt zu haben. Selten längere, meist nur kürzere Affären. Hier, diesen kleinen, ich würde sagen, Kalender, habe ich in seiner Wohnung entdeckt.«
Sie hatte Aupperle ein schmales Buch in die Hand gedrückt, das sich als eine Art Album entpuppte und von ihm
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