Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
lachte leise. »Sie wollen wohl sofort losziehen und ein paar Leute verhaften, wie?« Er hob seine Hände abwehrend in die Höhe. »Das sind alles Persönlichkeiten und Organisationen, die ihre Konflikte auf andere Weise lösen als das in der Liederhalle geschehen ist.«
»Ein etwas vorschnelles Urteil, fürchte ich. Leute, für die es um viel geht, gleich ob Macht, Gewinn, Besitz oder den drohenden Verlust eines nahestehenden Menschen, sind schneller bereit, Grenzen zu überschreiten, als wir das wahrhaben wollen. Das zeigt mir meine alltägliche berufliche Erfahrung zur Genüge«, erwiderte Braig.
»Das bezweifle ich nicht. Dennoch glaube ich, dass die Personen und Organisationen, von denen wir hier sprechen, über andere, für sie wesentlich einfacher zu handhabende Möglichkeiten verfügen, ihre Ziele zu erreichen als einen Widersacher zu ermorden. Das läuft in diesen Kreisen auf einer anderen Ebene: Politische Kungeleien, großzügige finanzielle Angebote, juristische Winkelzüge, die Vermittlung alternativer Karrieresprünge – Sie würden es wohl als Bestechung oder Korruption, vielleicht auch als Parteienkungelei oder so ähnlich bezeichnen, aber so läuft es nun einmal. Auf diese Weise lassen sich die meisten Probleme in Wirtschaft und Politik weit effektiver lösen als durch so plumpe Methoden wie Mord, glauben Sie mir, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die richtigen Leute in die richtige Richtung gedreht worden sind. Spielereien dieser Art sind bei uns gang und gäbe – ein alltägliches Ritual, da bedarf es keiner Killer, die erwünschten Ziele zu verwirklichen.«
»Am Einsatz dieser Methoden hege ich keinerlei Zweifel«, bekannte Braig, »vielleicht haben sie in diesem Fall aber nicht oder zumindest nicht schnell genug funktioniert und deshalb war man gezwungen, die Notbremse zu ziehen.«
»Die Notbremse?« Maurer wog seinen Kopf bedächtig hin und her. »Ich weiß nicht, ob Leute in diesen Positionen das wirklich nötig haben. Denken Sie doch einmal daran, mit welcher Vehemenz gesellschaftliche Bestrebungen, die elitären Kreisen widerstreben, bekämpft und am Ende wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Nehmen wir – nur mal als Beispiel – den Bildungsbereich. Was wurde in den letzten Jahrzehnten darum gekämpft, Kindern aus benachteiligten Schichten und dem Arbeitermilieu höhere Abschlüsse zu ermöglichen. Das dreigliedrige Schulsystem mit seiner scharfen Trennung in Hauptschule für die da unten, die Realschule für die Normalen und das Gymnasium für die da oben zu egalisieren. Gleiche Chancen für alle zu schaffen, bemühten sich unzählige Bildungspolitiker. Wie lange brauchte es, bis sie als böse systemverändernde Gleichmacher gebrandmarkt waren? Dabei gelang es den bösen Gleichmachern nicht einmal, gemeinsame Schulen für alle einzuführen. Immerhin aber schafften sie es, mehr Jugendliche auf die Gymnasien zu schleusen und mit Abitursweihen zu versehen. Und was war die Konsequenz? Die Schulzeit wurde um ein Jahr reduziert, die Menge des zu vermittelnden Stoffes dagegen blieb weitgehend gleich. Drastische Erhöhung der Anforderungen also, die von der Mehrheit normal begabter Jugendlicher nur unter der ständigen Anleitung von privat bezahlten Nachhilfelehrern zu erlangen ist. Und wer kann das finanzieren? Richtig, die da oben. In Zukunft fallen also wieder viele durchs Sieb und die höchsten Bildungsabschlüsse werden, was sie waren: Für die Kinder aus dem Arbeitermilieu genau so schwer zu erwerben wie früher. Die Lobby, die die Interessen der Mächtigen bedient, benötigt keine Killer, sage ich Ihnen, die haben viel effektivere Methoden, ihre Ziele zu realisieren.«
»Sie glauben wirklich, dass das so läuft?« Braig betrachtete nachdenklich seinen Gesprächspartner, spürte das Pochen hinter seinen Schläfen. Er atmete tief durch, massierte die Stelle über dem rechten Ohr. »So habe ich das noch nicht gesehen. Bildung und Schulpolitik sind nicht mein Metier. Aber, was meine Ermittlung betrifft: Sie haben also keinen Hinweises parat, wo ich mich genauer umsehen sollte?«
Maurer nahm die Hand von seiner Krawatte, die er gerade gezogen hatte, wehrte mit der erhobenen Rechten ab. »Das ist nicht richtig«, korrigierte er Braigs Aussage, »einen Hinweis hätte ich schon. Ich fürchte nur, dass Sie ihm keine große Bedeutung beimessen werden.«
Der Kommissar schaute auf, versuchte sich zu konzentrieren. »Darauf sollten Sie es ankommen lassen. Woran denken Sie?«
»Die
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