Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
dann.
»In der Liederhalle?«, rief er laut, sie aus großen Augen anstarrend. Seine Überraschung war weder zu übersehen, noch zu überhören.
»Ja, bei einem Kongress im Hegel-Saal. Ich war zufällig dort, wegen meiner Doktorarbeit.«
Die Liederhalle, überlegte Aupperle, schau an, schau an. Der Typ hatte das Kulturzentrum wie einen Teich benutzt, aus dem er sich seinen jeweils nächsten Fisch angelte. Die eine bei einem Konzert, die andere anlässlich eines Kongresses. Darauf musste man erst mal kommen, dass sich in dem Musentempel solche Prachtweiber – denn darum handelte es wohl bei beiden, so gut glaubte er den Geschmack Schmiedles inzwischen zu kennen, auch wenn beide im Moment etwas indisponiert schienen – tummelten. Die Liederhalle als Reservoir scharfer Frauen, das musste er sich merken. Höchste Zeit, das Konzert- und Kongressangebot ausführlich zu studieren, vielleicht gelang es ihm auch, dort seine Angelschnur auszuwerfen.
»Und dann?«, fragte er. »Wie ging es weiter mit Ihrer Beziehung?«
»Mit unserer Beziehung?« Melanie Schunter nahm einen kräftigen Lungenzug, spitzte den Mund, blies den Rauch nach einer kurzen Kopfbewegung Richtung Fenster. Aupperle sah sich Sekunden später dennoch von einer neuen Wolke eingehüllt.
»Gut. Wie das so abläuft zwischen zwei Menschen, die sich zusammentun.«
Er spürte, wie ihm langsam die Geduld ausging. Zusammentun, überlegte er, zwei Menschen, die sich zusammentun. Wie weit ist eine Beziehung, wenn einer der Partner das so formuliert? »Sie waren die ganze Zeit zusammen?«, fragte er.
»Wieso?«
»Na, weil sein Tod für Sie dann doch sehr schmerzlich sein muss.«
»Das ist er, ja.«
»Und trotzdem sitzen Sie heute schon wieder an Ihrer Doktorarbeit?«
»Meine Art, den Schock zu bewältigen«, erwiderte sie ohne langes Überlegen.
»Es kann nicht daran liegen, dass Sie längst nicht mehr zusammen sind?«
»Wieso?«
»Sie haben sich doch schon im November getrennt«, ergänzte er. »Vor einem Vierteljahr. Sie sind im Streit auseinandergegangen, im bösen Streit. Weshalb? Haben Sie Schmiedle mit einer anderen Frau überrascht?«
Sein Gegenüber war mitten in ihrer Bewegung erstarrt, hielt die Zigarette, die sie gerade zum Mund hatte führen wollen, unnatürlich zur Seite gebogen in ihrer Rechten fest. »Was soll das?«, fragte sie.
»Sie haben damit gedroht, Schmiedle zu ermorden, haben sich die brutalsten Methoden dafür überlegt. Sie haben sich drei Monate Zeit gelassen. Aber gestern war es dann soweit.«
»Sind Sie verrückt?« Melanie Schunter warf die nur halb gerauchte Zigarette in die gelbe Tasse, sprang von ihrem Stuhl. »Was soll der Quatsch? Glauben Sie, ich hätte nichts Besseres zu tun, als meine abgelegten Liebhaber abzuschlachten?« Sie starrte wutentbrannt zu ihm über den Schreibtisch, schob ihr Notebook zur Seite.
»Liebhaber? Für Sie war er doch viel mehr als nur Ihr Liebhaber. Die große Liebe Ihres Lebens. Leider aber nicht umgekehrt. Es muss Sie hart getroffen haben, als er Sie so plötzlich fallen ließ. Und sich sofort auf die nächste Frau stürzte. Sonst hätten Sie sich nicht zu diesen brutalen Drohungen hinreißen lassen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich habe niemand bedroht.«
»Sie streiten es ab?« Aupperle schüttelte grinsend den Kopf. »Das nützt Ihnen nichts. Wir haben eine gute Zeugin. Ihr Kopf hängt schon längst in der Schlinge. Da kommen Sie nicht mehr raus.«
»Mein Kopf in der Schlinge? Sie wissen doch echt nicht, was Sie da von sich geben.« Melanie Schunter blieb hoch aufgerichtet vor ihm stehen, starrte, die Hände in den Hüften und die Brust weit vorgereckt mit vor Aufregung geröteter Miene zu ihrem Besucher hinunter. »Natürlich habe ich gekocht vor Wut auf den Kerl«, gab sie zu. »Wochenlang sogar. Ich hätte ihn vierteilen können, den Schweinegeier. Aber ist das nicht normal, nach so einer Erfahrung? Der Kerl schwor mir ewige Liebe, hing mir in jeder freien Minute am Hals, konnte nicht genug von mir kriegen – und dann plötzlich, von einer Sekunde zur anderen war alles vorbei? Wie hätten Sie denn in so einer Situation reagiert?«
Aupperle hörte kaum auf die Worte der Frau, war gebannt von dem Anblick, der sich ihm bot. Wie eine Rachegöttin thronte sie über ihm, das vor Aufregung gerötete Gesicht von langen blonden Haaren umrahmt, ihr Busen unter dem engen T-Shirt deutlich sichtbar. Ein Rasseweib, überlegte er, mei liabs Rotteburg am Neckar, eine Nacht oder
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