Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Zugegeben, ich an dessen Stelle hätte wahrscheinlich Tag und Nacht darüber gebrütet, wie ich ihm das heimzahlen kann. Der Mann ist beruflich ruiniert, ohne Zweifel. Und sein Privatleben? Na, ich weiß nur, dass seine Beziehung stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, wenn ich das mal vorsichtig formulieren darf. Aber das ist ja kein Wunder, bei diesem üblen Gerücht, das da über ihn verbreitet wurde.«
»Wo finde ich diesen Bumiller?«
Die Frau ließ einen tiefen Seufzer vernehmen, legte ihre Stirn erneut in Falten. »Mein Gott, sind Sie hartnäckig! Jetzt wollen Sie tatsächlich zu Bumiller und die ganze Geschichte wieder aufrollen?« Sie trommelte mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf den Schreibtisch, schüttelte den Kopf. »Das dürfen Sie ihm nicht antun, wirklich nicht. Und wenn er meinem Ex wirklich eine Abreibung verpasst hat … Roland lebt, haben Sie erzählt, ja. Dann hat er es verdient. Wer immer ihm eine ordentliche Abreibung verpasst hat, mein Ex hat es verdient, ich kann es gar nicht oft genug betonen.« Sie tippte auf ihrer Computer-Tastatur, fuhr dann mit der Maus hin und her. Nach einer Weile ratterte der Drucker hinter ihr los. Fiona Bering drehte sich zur Seite, zog ein Blatt aus dem Gerät, warf einen kurzen Blick darauf, reichte es dann ihrem Besucher. »Hier«, sagte sie. »Damit Sie die ganze Scheiße wieder aufwühlen und den armen Mann noch einmal damit quälen können. Das ist seine Adresse. Jedenfalls soweit ich es weiß.«
Braig nahm das Blatt entgegen, überflog die Adresse. Jasmin und Marc Bumiller, Nagold im Schwarzwald, dazu die Straße und die Telefonnummer. Er wusste, wen er unbedingt als Nächstes sprechen musste.
5. Kapitel
Erst im schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite gelegenen Wohnblock hatte Neundorf Erfolg. Hier standen ausnahmslos Mehrfamilienhäuser mit dem Anschein nach weit weniger betuchten Bewohnern als oberhalb der Fahrbahn.
»Wenn Se wirklich wissen wollen, wat in diesem Haus, wat sache ick, wat in der janzen Straße vor sich jeht, müssen Se den dicken Diebele frachen. Der is besser informiert als früher de Stasi bei uns«, hatte sie in der Wohnung im Erdgeschoss, die genau unter der des Opfers lag, erfahren. »Ick persönlich kann Ihnen überhaupt nichts sachen. Ick bin hier nur die Putze und jerade vor zehn Minuten erst jekommen.«
Marianne Mikuleit war ihr in einer bunt gescheckten Arbeitsschürze gegenübergetreten, die Arme auf den Stil eines Besens gestützt, hatte ihr im breitesten Berlinerisch ihre halbe Biografie zu Füßen gelegt. Vor acht Jahren war sie aus Lichtenberg, »mitten im Herzen von Berlin, aba früher im Osten, in der DDR, wenn Ihnen dat was sacht, wa?«, nach Stuttgart gekommen, »wegen da Kohle, verstehn Se, wa? Is mir nicht leicht jefallen, hier ins Schwabenland zu kommen, dat kann ich Ihnen Sachen, aber dat verstehen Se nich, wa?«
Inzwischen war sie nach Esslingen gezogen, wohnte ein Stück die Straße abwärts und verdiente ihr Geld als Bäckerei-Verkäuferin und zusätzlich als Putze bei mehreren Familien, »und früha, in der DDR war ick die Chefin vom zwoten Stellwerk der Bahn am Ostbahnhof und ‘ner Brigade von achtzehn Mann, dat ham Se nich jedacht, wa? Der Ostbahnhof war der wichtigste Bahnhof in der Hauptstadt, Ost meen ick natürlich, Ost, und ick bin och studierte Elektro-Ingenieurin, det hab ick studiert in Magdeburg, verstehn Se, von der Elektro-Ingenieurin und Brigadechefin von achtzehn Mann zur Putze für acht Euro die Stunde, wa? Ja, so is det Leben heute, jenau so.«
Marianne Mikuleit war achtundvierzig, wie sie Neundorf ausführlich erklärte, zwei Mal geschieden, »zwee Töchter von zwee Männern, wat willste mehr«, beide Kinder längst aus dem Haus und selbst verheiratet, »wir ham früh angefangen, verstehste, wa? Mit achtzehn hab ick jeheiratet, damit ick en Grund hatte, von meine Alten rauszukommen, dat war damals die eenzige Jelegenheit, so war det eben. Sonst hättste och keene eigene Wohnung jekriegt, ohne Mann, meene ick, det war nich so wie hier im Westen. Mit neunzehn Mutter, die Kleene ufjezogen und sozusagen nebenbei studiert, ja und plötzlich war die Jugend vorbei, und du stehst mittenmang im Leben, so isset, wa?«
Neundorf hatte ihr, zuerst geduldig, dann immer öfter auf ihre Armbanduhr schielend, zugehört.
»Ja ja, ick weeß, Sie ham et eilig, wa. So is dat nu mal heute in unsere Zeit. Alle ham et eilig, keener hat mehr Muße oder wie man dazu sacht. Also, Sie wolln
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