Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
auf den Nägeln brannte, das soeben Erfahrene sofort weiterzuerzählen. So schnell wollte sie ihn jedoch nicht gehen lassen. Noch fehlten ihr wichtige Informationen, die sie von ihm zu erfahren hoffte. »Heute Morgen, bevor die uniformierten Beamten kamen, ist Ihnen da jemand aufgefallen?«, fragte sie, präzisierte dann ihr Anliegen. »Ich meine, ging irgendjemand dort drüben in das Haus, bevor die Polizei kam? Oder sahen Sie zufällig eine Person, die es zu der Zeit verließ? Vielleicht jemand, der Ihnen unbekannt war?«
Er musste den oder die Täter gesehen haben, wenn er wirklich die ganze Zeit über die gesamte Umgebung im Visier hatte, noch dazu unterstützt von den anscheinend nicht weniger neugierigen Augen seiner Frau.
»Heut morge?« Diebele hatte sein Gesicht verzogen, die Stirn und die Wangen in Falten gelegt. Es war ihm sichtbar peinlich, Neundorfs Frage nicht postwendend mit einer konkreten Aussage beantworten zu können. »Mir waret, also mei Weib und i …« Er kam ins Stottern, blieb mitten im Satz hängen.
Die Kommissarin ließ ihm Zeit, wartete, bis sich seine Aufregung wieder gelegt hatte.
»Mir waret heut morge net dahoim, wisset Se, des isch’s Problem«, offenbarte der korpulente Mann mit weinerlicher Stimme. »So leid es mir tut, mir sind um achte etwa aus dem Haus und erst gege neune wiederkomme. Fascht im selbe Moment wie Ihre Kollege, nur a paar Moment vorher. Unsere Tochter, wisset Se, die hent wieder Streit g’habt.« Schuldbewusst schaute er zu ihr hin, ging dann auf die Person ein, die das Malheur zu verantworten hatte. »Kurz vor Siebene hat se a’grufe … Die dut sich noch was a, hot mei Weib gsait und no sind mir halt na … S isch zum Glück net weit, drunte in der Urbanstrass, aber bis mir die wieder beruhigt hent … Es war halt scho gege neune, wie mir zurückkomme sind, kurz vor Ihre Kollege.«
Neundorf nickte verständnisvoll, startete einen letzten Versuch. »Und vorher, als Sie aus dem Haus gingen, da ist Ihnen niemand aufgefallen? Zufällig, meine ich?«
Die Erinnerung überfiel Diebele wie ein plötzlich aufblitzender Sonnenstrahl aus einem wolkenverhangenen Himmel. »Ja nadierlich, der komische Kerl mit der dicke Jacke,“ gab er zur Antwort.
»Ein Mann mit einer dicken Jacke?«
Diebele fuchtelte mit seiner Rechten durch die Luft. »Viel zu dick für das warme Wetter halt.«
»Und der Mann kam dort drüben aus dem Haus?«, vergewisserte sie sich.
»Noi, der wollt nei«, korrigierte ihr Gesprächspartner. »Der isch an der Tür gstande und hat die Name studiert. Und dann hat er gläutet.«
»Sie haben gesehen, bei wem?«
Diebele schüttelte verlegen seinen Kopf.
Wie auch, aus der Entfernung, überlegte sie. »Das war heute Morgen gegen acht Uhr?«
»Ha no ja, so etwa. Genauer kann i Ihne des net sage.«
»Was ist mit Ihrer Frau? Hat sie vielleicht auf die Uhr geschaut?«
»In dem Moment war die doch scho weg. Beim Bäcker für unser Tochter, wisset Se.«
Neundorf nickte, kam zum entscheidenden Punkt. »Was ist mit dem Aussehen des Mannes? Sie können ihn beschreiben?«
Die grobschlächtige Gestalt starrte auf die Bierflasche in ihrer Hand, legte den Kopf zur Seite, kratzte sich im Nacken. »Eigentlich kann i des …“, setzte der Mann an, verharrte mitten im Satz. »Eigentlich kann i des net«, presste er dann heraus, nahm wieder gerade Haltung an. »Aber in dem Fall …«
»Was ist in diesem Fall?«, fragte Neundorf.
»Der hat ausgsehe wie mein Schwiegersohn«, erklärte Diebele, »fast genau wie der Mike. Bis auf die große Nas, die war anderscht. Aber sonscht …“
»Dann können Sie den Mann also beschreiben?« Neundorf spürte, wie alles in ihr frohlockte, zog ihr Handy hervor.
Ihr Gegenüber nickte vorsichtig mit dem Kopf.
»Wir haben einen Experten«, erklärte die Kommissarin, »der zaubert Ihnen das Gesicht in wenigen Augenblicken auf den Bildschirm. Genau nach Ihrer Beschreibung. Wir versuchen es, ja?«
Sie sah die zögernde Zustimmung des Mannes, gab Daniel Schieks Nummer ein, bat den Grafiker, sich in einer halben Stunde etwa bereitzuhalten. Vielleicht hatten sie Glück und dieser seine Umgebung so akribisch überwachende Blockwart hatte genau den Kerl beobachtet, der Allmenger in die Wanne zwang. Einen Versuch war es allemal wert.
6. Kapitel
Eigentlich hatte er Ann-Katrin versprochen, am Mittag eine kleine Pause einzulegen und wenigstens für ein paar Minuten zu Hause vorbeizuschauen, jetzt, wo sie so nahe an seiner
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