Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
lief auf Braig zu, reichte ihm die Hand. Eine Wolke herben, aufdringlich nach Sandelholz riechenden Rasierwassers ging von ihm aus.
»Michael Fitterling. Mein Bruder wurde …« Er wirkte unsicher, brach mitten im Satz ab. Seine Augen flatterten nervös hin und her.
Der Kommissar nickte, nannte seinen Namen und die berufliche Funktion. Er bekundete sein Beileid, musterte sein Gegenüber. Eine sehr auf ihr Äußeres bedachte, offensichtlich solariengebräunte Person um die Vierzig, mit aus der Stirn gekämmten, gegelten, dunklen Haaren und einer auffallenden modischen Designerbrille mit quadratischen Gläsern und bunter, rot getupfter Fassung. Bekleidet war er mit einem hellgrauen Anzug, einem weißen Hemd und blaugrau schraffierter Krawatte samt farblich passendem Einstecktuch.
Braig sah, wie sich die Frau von ihrem Stuhl erhob, mit ausgestreckter Hand auf den Mann zulief und ihm mit Tränen in den Augen kondolierte. »I weiß et, wieso das jetzt sein muss«, schluchzte sie, »es tut mir so leid.«
Fitterling gab keine Antwort, nickte ihr mit ausdrucksloser Miene zu, schob sie dann zögernd von sich. Er zog seinen Anzug wieder zurecht, überprüfte mit zitternden Fingern den korrekten Sitz seines Einstecktuchs. »Was ist da passiert?«, fragte er dann leise, mit brüchiger Stimme, »wer hat was gegen uns?« Mit fahrigen Bewegungen wies er auf den angrenzenden Raum, schlug vor, sich dort niederzulassen. »Frau Sälzle, wollen Sie nicht nach Hause?«
Die Frau wehrte mit beiden Händen entrüstet ab. »Noi, auf keinen Fall. Mir müsset weitermache, Herr Fitterling.«
Er nickte ihr zu, verließ den Raum, den Besucher hinter sich. Die herbe Rasierwasserwolke begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Das Zimmer, in das sie jetzt kamen, ähnelte stark dem vorigen, war zweckmäßig eingerichtet mit allen Utensilien, die ein Büro benötigte, zeigte kaum Spuren einer persönlichen Note. »Das Büro meines Bruders«, erklärte er.
»Nicht Ihr eigenes?«, fragte Braig überrascht.
»Ich habe kein eigenes Büro«, antwortete er, »jedenfalls nicht hier.« Er sah die fragende Miene seines Gesprächspartners, wies auf das Fenster. »Ich bin vorrangig für den Verkauf zuständig und deshalb fast ständig im Außendienst. Meistens in einer unserer Filialen in Reutlingen, Esslingen, Ludwigsburg oder Stuttgart.«
»Sie haben die Aufgabenbereiche in Ihrer Firma genau aufgeteilt.«
Fitterling bat seinen Besucher, auf einem der Stühle an der Innenwand des Büros, die um einen kleinen, rechteckigen Tisch gruppiert waren, Platz zu nehmen, lief nervös vor der Sitzgruppe hin und her. »Die haben wir genau verteilt, ja«, antwortete er. »Ich bin für den Verkauf und das Marketing zuständig, Christian für die Produktion. Das ist besser so, um unnötigen Streit zu …“, er stotterte, »zu umgehen.«
»Aber ganz lassen sich Auseinandersetzungen wohl nie vermeiden.«
Der Mann blieb stehen, versuchte, einen ruhigeren, weniger aufgeregten Ton anzuschlagen. »Darf ich wissen, worauf Sie anspielen?«
»Die wirtschaftlichen Probleme Ihrer Firma.«
Fitterling schwieg ein paar Sekunden, nahm dann auf einem der Stühle seinem Besucher gegenüber Platz. »Die lassen sich nicht verleugnen, das ist richtig. Darüber berichten ja schon die Medien. Ob wir das wollen oder nicht«, erklärte er in etwas gestelztem Ton.
»Und? Wie bedrohlich ist die Situation?«
»Sie glauben, der Tod meines Bruders hat damit zu tun?«, fragte der Mann ausweichend. Er beugte den Kopf nach vorne, ließ seine Augen unsicher hin und her flattern.
»So lange Sie mir nicht das Gegenteil beweisen, muss ich die Frage zumindest offen lassen«, insistierte Braig. Er kämpfte mit sich selbst, war dabei, sich sein ablehnendes Gefühl, seine unterschwellige Antipathie dem Mann ihm gegenüber einzugestehen. Gegelte Haare, solariengebräunte Haut, affektierte Brille, geschniegelter Anzug – der aufgeputzte Gockel passte überall hin, nur nicht hierher in dieses kleine Maultaschenfabrikle auf der Alb. Hinzu kam seine unübersehbar nervöse, fast ängstliche Haltung – der Kontrast zu seiner Aufmachung hätte nicht größer sein können. Er war vom Tod seines Bruders deutlich gezeichnet, konnte seine tief reichende Betroffenheit nicht im Mindesten hinter seiner aufgebrezelten Schale verbergen. Fragte sich nur, woher das rührte: Am ehrlich empfundenen Entsetzen über den Verlust seines nahen Angehörigen oder eher …
Braig wusste nicht, wieweit er sich in seinen
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