Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Große, strahlende Gesichter, prall gefüllte Teigstücke auf Gabeln und Löffeln präsentierend. Männer, Frauen, Kinder, alle mit der gleichen Botschaft. So anschaulich die Aufmachung auch war – Braig fühlte sich dennoch an vergangene Zeiten erinnert. Zu brav, zu bieder, zu deutlich von heilen, niemals existierenden Welten kündend. Werbung im Stil der fünfziger, sechziger Jahre – einer Epoche, die dem subjektiven Empfinden nach Jahrhunderte zurückzuliegen schien.
Er erreichte das erste Obergeschoss, sah einen kleinen Laden mit Regalen, Kühlschränken und einer breiten Verkaufstheke vor sich. In Kunststoffhüllen verpackte Teigwaren in den Regalen, in Klarsichtfolie vakuumierte Maultaschen hinter den Glastüren der Kühlschränke. Auf der Theke eine große, alte Kasse, die aus dem Treppenhaus bekannten Plakate davor. Braig starrte in eine der Kühltruhen, erkannte die dort gelagerten Maultaschen sofort wieder. Auffallend kleine Ausführung, identisch mit dem Material aus der Badewanne in Esslingen. Er war am richtigen Ort, ohne Zweifel.
Die Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss, kam ihm bekannt vor.
»Wellet Sie a paar von osere gute Maultäschle han?«
Er drehte sich zur Seite, sah eine Frau um die Fünfzig vor sich. Modern mit hellgrüner Hose und farblich passender Jacke gekleidet, eine weiße Bluse und ein rotes Einstecktuch darunter; eine Erscheinung, die eher Assoziationen an eine Managerin eines weltweit agierenden Konzerns in einem postmodern-sterilen Verwaltungsgebäude als an die Mitarbeiterin eines Familienbetriebs mitten auf der Schwäbischen Alb erweckte. Nur das unübersehbar verweinte Gesicht mit dem trotz notdürftiger Korrekturen noch nicht wieder vollständig in Ordnung gebrachten Make-up und der ausgeprägte Dialekt ihrer Sprache erinnerten an das Haus, in dem er sich aufhielt. Er kannte ihre Stimme vom Telefon, hatte heute Morgen bereits mit ihr gesprochen.
»Sie überleget noch, welche Sorte Sie wellet? Ob mit Fleisch oder lieber ohne?«
Braig griff in die Tasche, zog seinen Ausweis vor. »Später vielleicht«, erwiderte er. »Wir haben miteinander telefoniert. Mein Name ist Braig. Ich komme vom Landeskriminalamt.«
Sein Gegenüber hielt sich erschrocken die rechte Hand vor den Mund, schaute verlegen zu dem Besucher auf. »Oh, i bitt um Verzeihung, des han i et gwusst.«
Sie sprach, was er heute Morgen am Telefon überhaupt nicht bemerkt hatte, ein ausgeprägtes Alb-Schwäbisch, das Braig von privaten Ausflügen und beruflichen Exkursionen in die südlichen Gefilde Schwabens her kannte und besonders schätzte, weil es dem Tonfall – jedenfalls seiner Empfindung nach – einen besonders charmanten Beiklang gab. Statt das »N« bei der Verneinung beizubehalten, wie das nördlich der Alb üblich war, verschluckte sie den Konsonanten und machte aus dem »net« ein »et«, ein Sprachklang, der den Kommissar unter anderen Umständen an Urlaub, frische Luft und Natur hätte denken lassen. Im Bewusstsein dessen aber, was geschehen war, blieb ihm keine andere Wahl, als diesen Impuls zu unterdrücken und den beruflichen Pflichten nachzukommen.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, versuchte er, die Frau zu beruhigen, stürzte sie mit seinem nächsten Satz jedoch in noch größere Verlegenheit. »Sie sind in der Geschäftsführung der Firma Fitterling tätig?«
Ihre Hände schossen augenblicklich in die Höhe. »Noi, so dürfet Sie des et sehe«, wehrte sie seine Vermutung ab. »I bin bloß die Sekretäre, soscht nix.«
»Frau …?«
Sie sah seine fragende Miene, stellte sich vor. »Maria Sälzle.«
»Frau Sälzle, Sie sind also die Sekretärin von Herrn Fitterling, dem heute Nacht …« Er stockte mitten im Satz, sah die Träne, die sich aus ihrem linken Auge löste.
»Von beide Herre«, erklärte sie mit holpriger Stimme, »so groß sind mir net, dass jeder a eigene Sekretäre brauchet.«
»Von wem sprechen Sie?«, fragte er. Ein Schwall intensiv nach Mittagessen riechender Luft drang ihm in die Nase, brachte unwillkürlich seinen Magen zum Knurren. Er griff sich an den Leib, versuchte, das Geräusch zu unterbinden.
»Hano ja, die Firma gehört beide«, erklärte sie annähernd auf Hochdeutsch. »Dem Christian und dem Michael. Des heißt, jetzt, i mein, nachdem, was passiert isch …“ Sie wandte sich schluchzend von ihm ab, drückte beide Hände über ihr Gesicht.
Braig ließ ihr Zeit, warf einen Blick auf die gut bestückten Regale, die in Klarsichthüllen verpackte
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