Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Überlegungen treiben lassen, inwiefern er Michael Fitterling gar einen aktiven Part am schrecklichen Ende seines Bruders zuschreiben durfte. Die Mehrzahl aller Gewalt- und Tötungsdelikte resultierte nun einmal aus Auseinandersetzungen zwischen einander nahestehenden oder familiär miteinander verbundenen Personen – diesen Bereich besonders genau unter die Lupe zu nehmen, war die erste Pflicht eines jeden Ermittlers. Und dass es zwischen den beiden Brüdern tief greifende Zerwürfnisse und Streitereien zumindest beruflicher Art gegeben hatte, war ihm nicht nur von Frau Sälzle, sondern soeben auf seine ausdrücklichen Nachfragen hin auch von dem Mann persönlich bestätigt worden. Musste er sein unübersehbar von Nervosität geprägtes Gegenüber also fortan unter diesem Aspekt betrachten?
Er hatte noch zu keinem Urteil gefunden, sah sich von den Worten Fitterlings aus seiner Überlegung gerissen. »Sie gehen weiterhin davon aus, dass es sich nicht um einen Unfall handelt?«
Unfall oder Mord? Stand das wirklich noch zur Diskussion? Immerhin – noch hatte er den Tatbestand mit den Spurensicherern, die die Absturzstelle untersucht hatten, nicht detailliert erörtert. Die Vorabinformationen der Kollegen wie die persönliche Inaugenscheinnahme des Unfallortes auf der Geigelfinger Steige allerdings schienen stichhaltig genug, genau diese Sachlage als gegeben hinzunehmen. »Davon gehe ich aus«, erklärte er deshalb, »ja. Ihr Bruder wurde von der Straße abgedrängt. Genau an der Stelle, wo es für ihn keinerlei Überlebenschancen gab.« Er musterte das Mienenspiel des Mannes, bemerkte das fahrige Hin- und Herflattern seiner Augen.
Fitterlings bisher schon unübersehbare Nervosität schien weiter gewachsen. Er fuhr sich mit der Innenfläche seiner linken Hand über die Stirn und die Wangen, beugte den Kopf zur Seite, wandte sich vollends von dem Kommissar ab. »Und Sie glauben, es hat mit den Diskussionen um, um die Zukunft unserer, unserer Firma zu tun.« Seine Stimme zitterte, er stotterte, hatte Mühe, den Satz zu Ende zu sprechen.
Braig schob seinen Oberkörper zurück, um der aufdringlichen Duftwolke wenigstens ein Stück weit zu entgehen, versuchte, das Gesicht seines Gegenübers im Visier zu behalten. »Ihr Bruder wollte seinen Anteil an die Konkurrenz verkaufen.«
»Seinen Anteil?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht nur seinen Anteil. Die gesamte Firma!« Er legte eine Pause ein, wandte sich für einen Moment wieder dem Kommissar zu, sprach dann zögernd weiter. »Es handelt sich um das Angebot eines großes Konzerns. Mit der Hälfte geben die sich nicht zufrieden. Entweder alles oder gar nichts.«
»Sie sind dagegen.«
»Allerdings. Das ist …« Er stockte, suchte nach dem passenden Wort. »Abzocke«, stieß er dann hervor, Braig mit erschrockenem Gesichtsausdruck kurz musternd, »Abzocke, sonst nichts. Die kennen unsere gegenwärtige …“ Fitterling hielt erneut inne. Er schien genau zu überlegen, wie er seinen Satz formulieren sollte. »Die kennen unsere derzeitige, nicht besonders erquickliche Lage und wollen sie ausnützen.«
»Der Konzern bietet Ihnen also zu wenig Geld. Deshalb sind Sie gegen den Verkauf.«
»Zu wenig Geld?« Der Mann schien getroffen. »So einfach ist die Welt, wie? Mehr Geld her und alle lassen sich kaufen.« Er strich mit zitternden Händen mühsam eine Falte auf seinem Anzug zurecht, öffnete seine Jacke, um den Stoff zu glätten, knöpfte sie wieder zu.
Ein Schwall herben Rasierwassers stieg Braig in die Nase.
»Meiner Erfahrung nach gibt es kaum einen Menschen, der sich dagegen wehren würde, mehr Geld zu erhalten«, wandte er ein.
Fitterling schüttelte den Kopf. »Das ist nicht der Punkt. Natürlich will ich mein Hab und Gut nicht unter Wert …« Er wusste nicht weiter, schluckte, hatte Mühe, sich zu konzentrieren. »Ich will es nicht … verschleudern«, stieß er dann hervor, »völlig unter Wert, wenn ich auf deren Angebot eingehen würde. Nein, der entscheidende Grund liegt …« Er legte eine Pause ein, versuchte, sich zu sammeln.
Braig glaubte zu sehen, wie es in dem Mann arbeitete.
»Ich bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass wir es weiterhin allein schaffen können«, sagte Fitterling dann. »Mit einer Neuausrichtung unseres Marketings und auch eines Teils der Produktion, ja. Aber ohne unsere Firma dabei im Schlund dieses gefräßigen Raubtieres verschwinden zu lassen. Die entsprechenden Grundlagen dazu sind weitgehend erarbeitet,
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