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Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Titel: Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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kann – und mancher findet diese Erfüllung nur in einem Tier«, hatte Dr. Genkinger Wochen später dazu erklärt. »Obwohl das Wort nur an dieser Stelle völlig unpassend ist. Für viele sind Tiere weit passendere Partner als andere Menschen. Sie denken jetzt, der alte Genkinger spinnt, was? Verrennt sich in seinem Tierwahn, der verschrobene Menschenhasser, ja?« Er hatte sich an die Schläfe gegriffen, dann die Katze gestreichelt, die ihm um die Beine gestrichen war. »Hatten Sie schon einmal näheren Kontakt zu einer dieser verarmten, nach unseren offiziellen Maßstäben gescheiterten Existenzen? Was haben diese Leute von anderen zu erwarten – was außer Vorwürfen, Zurechtweisungen, Ablehnungen, triefender Häme? Ein Tier ist das einzige lebendige Wesen, das ihnen nicht mit von Abscheu geprägtem Unwillen gegenübertritt, das seine Liebe, seine Zuneigung ohne jede Vorbedingung verschenkt. Was gibt es Wertvolleres im Leben als ein solches Wesen?«
    Dienstags war die Praxis offiziell geschlossen, das war auf dem Schild am Gartentor deutlich zu lesen. An diesem Tag stand seine Arbeit nur denen zur Verfügung, die ihren Vierbeinern sonst keine Hilfe zukommen lassen konnten. Der Veterinär behandelte die Tiere der Bedürftigen nicht nur unentgeltlich, wie Braig erfahren hatte, er versorgte seine Kunden auch noch mit Taschen voller Futter, das er – palettenweise – einmal im Monat ins Haus kommen ließ.
    »Sie nehmen kein Geld für Ihre Arbeit?«, hatte Braig ihn am Abend einer dieser Tage angesprochen.
    »Wie die Leute es können. Manche wollen unbedingt bezahlen. Dann verlange ich eben fünf oder zehn Euro.«
    »Und schenken ihnen zugleich Futter für das Dreifache.«
    »Noch nage ich nicht am Hungertuch«, hatte der Arzt erwidert. »Oder sehe ich so aus?«
    »Dienstags umsonst. Die anderen Tage gegen Geld. Warum diese Trennung?«
    Dr. Genkingers Miene hatte jede freundliche Regung verloren. »Wie gut kennen Sie die Menschen?«, hatte er gefragt. »Glauben Sie, ein einziger dieser Neureichen käme in meine Praxis, wenn er im Wartezimmer auch nur zehn Sekunden neben einem Obdachlosen Platz nehmen müsste?«
    Nein, der Mann kam nicht von einem anderen Stern, er stand mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität, war Braig sich bewusst. Der Realität, die den Alltag in dieser Gesellschaft prägte. Dass er von denen nahm, die genügend oder noch mehr hatten, und denen gab, denen es an allen Ecken und Enden fehlte – war es ein Wunder, dass die Sympathie seiner Mieter ihm gegenüber mehr und mehr wuchs? Ein moderner Robin Hood, hatte Ann-Katrin eines Tages ihre Wertschätzung zum Ausdruck gebracht.
    »Welche Krankheit quält jetzt diesen Bernstein?«, fragte Braig, als die dunkle Limousine endgültig um die Ecke verschwunden war. »Was für ein Leiden muss mit einer langwierigen Therapie geheilt werden?«
    »Sie wollen es wirklich wissen?« Dr. Genkinger grinste über beide Ohren.
    »Wenn es Ihre ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt.«
    »Oh je, meine ärztliche Schweigepflicht!« Der Veterinär winkte mit beiden Händen ab. »Wenn ich mich daran orientieren wollte, dann müsste ich schweigen wie ein Grab.« Er machte eine kurze Pause, gab mit seinem fortwährenden Grinsen zu erkennen, dass er nicht gewillt war, sich daran zu halten. »Eine peinliche Sache«, erklärte er, »äußerst peinlich sogar. Jedenfalls in den Augen von Bernsteins Herrin.«
    »Ihrer Auffassung nach aber nicht.«
    »Peinlich? Nein.« Braig schien die Meinung seines Gesprächspartners voll getroffen zu haben. »Im Gegenteil«, sagte der Tierarzt. »Mit peinlich hat das überhaupt nichts zu tun. Was Bernstein angeblich plagte, ist vollkommen normal.«
    »Um was geht es?«
    »Der Ruf der Natur. Bernstein besprang ständig andere Vierbeiner. Läufige Hündinnen, um es konkret zu sagen.«
    »Das ist alles?«
    »Nicht ganz. Das Schamlose daran: Er tat das vor den Augen seiner Herrin und der sie begleitenden Damen. Frau Daimlerdirektorengattin X, Frau Bürgermeistersehefrau Y, Frau Bauunternehmersgattin Z.«
    »Ah ja«, ahnte Braig. »Und Ihre Aufgabe ist es jetzt, dem kleinen Kerl das abzugewöhnen.«
    »So könnte man das formulieren, ja.«
    »Was ist daran so Weltbewegendes? Lässt sich das Problem nicht dadurch lösen, dass man das Tier kastriert?«
    »Um Gottes willen! Wo denken Sie hin!« Dr. Genkinger warf beide Hände in die Luft. »Kastrieren? Es handelt sich um Bernstein, das edle Geschöpf einer Daimlerdirektorengattin!« Er

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