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Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Titel: Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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schüttelte den Kopf. »Nein, so einfach ist das nicht. Das Tier wurde nämlich bereits …« Der Arzt verstummte, legte den rechten Zeigefinger über den Mund.
    »Wie?«, fragte Braig. »Der Hund ist schon kastriert?«
    Sein Gesprächspartner nickte mit dem Kopf. »Genau das, ja. Frau Daimlerdirektorengattin entdeckte das Tier höchstpersönlich letztes Jahr im Urlaub in der Toskana. Es gefiel ihr so gut, dass sie es sofort erwarb. Weil der kleine Kerl nach Aussage des Züchters fast ein Jahr alt war, ließ sie ihn an Ort und Stelle bei einem Kollegen von mir gleich kastrieren. Das bescheinigt jedenfalls ein Zertifikat, das sie von dort mitbrachte. Deshalb wunderte sie sich natürlich über sein aufgeregtes Verhalten läufigen Hündinnen gegenüber.«
    »Und Sie empfahlen der Frau jetzt eine langwierige Therapie für den Hund.«
    »Nachdem ich den Unterleib des Tieres und die Einkommensverhältnisse seiner Besitzerin näher begutachtet hatte, ja.«
    »Und wenn es sich bei Bernstein um den Hund eines Obdachlosen gehandelt hätte?«
    »Dann hätte ich es dabei belassen, dem Tier mit einem kurzen Eingriff die verwachsenen, ohne genauere Überprüfung kaum erkennbaren Hoden zu amputieren.«
    »Ja, was jetzt?«, fragte Braig. »Der Hund war also doch nicht kastriert?«
    »Nein, das war er nicht. Entgegen der Bescheinigung des Zertifikats. Sei es, dass er damals, als der Kollege sich darum bemühte, noch zu jung, also seine Hoden nicht genügend ausgebildet waren, sei es, dass der Dottore in Italien dieselbigen Körperteile als dermaßen verwachsen empfand, dass er ihr Funktionieren für alle Zeit infrage stellte und sich die Operation ersparte – keine Ahnung. Hauptsache, er ließ sich die nicht erfolgte Prozedur bezahlen – so glaubt Frau Daimlerdirektorengattin jetzt, die von mir empfohlene Therapie sei wirklich notwendig.«
    »Sie haben die Frau nicht über Ihren Befund informiert?«
    Der Veterinär schüttelte den Kopf. »Der Einblick in die Einkommensverhältnisse der Dame hat mich eines Besseren belehrt.«
    »Und wie darf ich mir den Verlauf dieser Therapie vorstellen?«
    »Kommt Zeit, kommt Rat«, antwortete Dr. Genkinger. »Bisher gab es acht jeweils halbstündige Sitzungen mit vielen Streicheleinheiten, Placebo-Salben, Placebo-Wässer­chen, Massagen und Bestrahlungen. Alles in Premium-Ausführung, versteht sich.«
    »Aber operiert, ich meine, kastriert, haben Sie den Hund noch nicht?«
    »In drei bis vier Wochen etwa«, erklärte der Tierarzt. »Vorher sind noch eine große Menge halbstündiger Sitzungen erforderlich. Je länger es dauert, desto größer die Dankbarkeit des Frauchens. Sie fiebert ja schließlich mit ihrem Zögling mit. Und dass ich ihr in all dieser Zeit mit der Sorge um das Wohlergehen ihres Bernsteins eine Aufgabe und einen Sinn in ihrem sonst sehr langweiligen Leben schenke, dafür ist sie mir ewig wohlgewogen, vor allem, wenn am Ende aller Bemühungen die Genesung ihres Lieblings erfolgt.«
    »Und die etwas voluminösere Rechnung bereitet ihr dann auch kein Kopfzerbrechen.«
    »Ganz gewiss nicht. Man hat sehr viel und gibt einen kleinen Teil davon ab«, meinte Dr. Genkinger, nicht einen Hauch von Ironie in seiner Miene. Er sah auf, weil aus seiner Praxis das Läuten des Telefons zu hören war, deutete ins Innere. »Aber darüber schweigen die Götter. Und die Klugen tun es ihnen gleich. Bis bald, auf einen Schluck, ja?«
    Braig nickte, verabschiedete sich von seinem Vermieter. Er trat ins Haus, folgte der Treppe nach oben. Seine Lebensgefährtin hatte seine Stimme gehört, öffnete, den Zeigefinger auf den Lippen, die Tür. Ann-Katrin Räuber war es gerade gelungen, ihre Tochter nach mehreren erfolglosen Versuchen in den Schlaf zu wiegen.
    »Sie war völlig übermüdet. Ich konnte nicht warten, bis du kommst. Sie hat den ganzen Mittag im Park gespielt. Die frische Luft hat uns beiden gut getan.«
    Die Lage der Wohnung unmittelbar am Cannstatter Kurpark, in die sie vor etwas mehr als einem Jahr gezogen waren, hatte sich in den Monaten seit der Geburt Ann-Sophies als Glücksfall erwiesen. Ohne eine einzige Straße überqueren zu müssen, führte der Weg auf einer schmalen Fußgängerbrücke über die Güterumgehungsbahn hinweg direkt ins schattige Gelände des grünen Hügels mitten in Bad Cannstatt. Auch jetzt im Sommer ließ es sich dort unter den weit ausladenden Asten hoher Bäume angenehm verweilen.
    Braig umarmte seine Lebensgefährtin, schlich sich auf Zehenspitzen ins

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