BRAINFUCK
Schwalben. Ich hoffe, du magst Schwalben«, flüsterte er und die aufwallende Geilheit zauberte blaue Schlieren vor seine Augen.
Die Erinnerung an das letzte Mal, als er Schwalben gezeichnet hatte, kroch aus einem Winkel seines Gedächtnisses. Nadel für Nadel hatte sich seine Erregung gesteigert, bis sie beim Einstechen der letzten Kanüle in einem gigantischen Orgasmus explodierte. Herrlich!
»Böse! Krank!«, flüsterte – kaum vernehmlich – die dünne Stimme.
*
Ich verliere mich. Ich kann nicht mehr. Es ist zu schwierig, so viel zu reinigen. »Konzentriere dich«, hat Mama immer gesagt, wenn ich eine Aufgabe nicht lösen konnte. Ich muss mich mehr konzentrieren! Ich darf nicht aufgeben! Ich spüre, dass es wichtig ist, was ich tue.
*
Das große Rolltor in der übermannshohen Buchsbaumhecke schloss sich sanft surrend, während Andrian den schlaffen Mädchenkörper aus dem Wagen nahm und ins Haus schaffte. Er trug sie direkt in den Keller, legte sie vor dem Regal auf den Boden und schob es zur Seite. Dann hob er Magdalena auf den Metalltisch und fixierte sie mit Paketband. Er nahm ihr die Brille ab und griff nach der Schere, um ihr die Kleidung vom Leib schneiden zu können.
Die Kanülen! Er hatte die Kanülen im Auto gelassen. Ohne sie konnte er nicht anfangen. Als er mit der Tüte zurückkehrte und die Geheimtür zuzog, war das Mädchen wach. Sie blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, aus denen ihm Angst entgegensprang. Nie zuvor war ihm Derartiges aufgefallen. Er hatte sich immer fest auf das zu schaffende Kunstwerk konzentriert, sodass kein Raum für empathische Ausflüge geblieben war. Magdalena verfolgte jeder seiner Bewegungen, soweit es das Klebeband, das ihren Kopf festhielt, zuließ. Sie sagte nichts, jammerte nicht, beobachtete ihn lediglich.
Seit Langem pflegte er die Angewohnheit, bei seiner Arbeit die Titelmelodie der Kinderserie ›Löwenzahn‹ vor sich hinzupfeifen. Er setzte an und stutzte nach wenigen Tönen. Das war falsch, die Tonfolge stimmte nicht. Andrian versuchte es einige Male, aber es wollte ihm nicht gelingen, die Melodie anzustimmen.
»Dann heute ohne Musik!«, beschloss er missgestimmt, streifte sich den OP-Kittel über und band die Gesichtsmaske über den Mund.
Anschließend stellte er die Kanülenbehälter an ihren angestammten Platz und klebte die handgezeichnete Vorlage mit den Schwalben neben dem Oberkörper des Kindes auf die Platte des Seziertisches. Sonst hatte ihm das Aufschneiden der Kleidung ein aufregendes Gefühl der Vorfreude beschert und seinen Schaffensdrang zu Höchstleistungen getrieben – heute fühlte es sich anders an. Als er die Schere an den Saum des Slips legte, stockte die Bewegung. Es schien nicht richtig zu sein. Andrian mutmaßte, dass seine künstlerische Inspiration diesmal einen anderen Weg gehen wollte. Sollte sie, kein Problem!
*
Er nahm eine Nadel zur Hand und riss die Folie auf. Seine Hände zitterten. Nicht vor Erregung – eine unbekannte, aufwühlende Empfindung ergriff ihn. Andrian zwang sich zur Konzentration, suchte den Anfangspunkt am linken Rippenbogen, legte die Nadelspitze an die blasse Haut und … wollte zustechen, doch seine Muskeln weigerten sich, den Befehl auszuführen.
»Was zur Hölle …?«
Die Hand begann heftig zu vibrieren. Das Beben weitete sich auf seinen Unterarm aus und verstärkte sich. Die Nadel fiel auf Magdalenas Bauch. Er drehte sich um, riss sich den Mundschutz ab und übergab sich in den Mülleimer, bis sein Magen den letzten Rest seines Inhalts herausgepresst hatte. Von heftigen Zuckungen geschüttelt, zog er sich an der Kante einer Arbeitsplatte hoch. Ein gelber Faden aus Speichel und Erbrochenem rann ihm aus dem Mundwinkel. Er keuchte, hustete und würgte. In seinem Gesichtsfeld verschwammen die Konturen und Farben seiner Umgebung.
*
Ja. So ist es besser. Eine anstrengende aber schöne Aufgabe, alles Schlechte und Böse auszufiltern und auszuscheiden. Ich bin stolz auf mich. Mama, du hattest Recht: Wenn man sich nur genügend anstrengt, kann man alles schaffen.
*
Andrian schleppte sich zum Tisch. Mit zuckenden Fingern schnitt er das Paketband von Magdalenas Armen und Beinen. Dann stolperte er zur Regaltür und öffnete sie.
»Es war nur ein Spiel, du kannst nach Hause gehen«, stammelte er und sah zu, wie das Mädchen durch den Eingang flitzte und die Treppe hinauf verschwand. Als die Haustür knallend ins Schloss fiel, lehnte er sich an die Wand, ließ sich langsam zu Boden
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