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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Berger
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kringelte, verriet dem Betrachter die Anwesenheit von Menschen.
    Pascal steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Zweimal kurz und einmal lang – das verabredete Zeichen. Die Antwort – ein langer und ein kurzer Pfiff – bewirkte, dass er sich merklich entspannte. Alles in Ordnung!
    Er schob den Rucksack auf seinem Rücken zurecht, griff mit beiden Händen an die Träger und setzte den Weg fort. Anne erwartete ihn an der Tür.
    »Willkommen zurück, großer Jäger. Was hast du erbeutet?«
    »Oh, künftige Mutter der Kinder des Stammes, ich habe viel Beute gemacht«, erwiderte er grinsend.
    Sie liebten dieses Ritual. Sie liebten alle ihre Rituale. Sie halfen ihnen, mit der Situation zurechtzukommen. Seit die Welt aus den Fugen geraten war, stellten gegenseitiges Vertrauen und Liebe die wichtigsten Säulen des Überlebens dar.
    Überleben – um mehr ging es nicht. Der magnetische Sturm hatte vor einem Jahr die Zivilisation, die zu einer gemütlichen und sicheren Gewohnheit geworden war, mit einem Schlag ausgehebelt. Alles, was mit Strom funktionierte, fiel aus, wurde unbrauchbar. Elektronische Bauteile verschmorten und verloren in stinkenden Rauchwölkchen ihre Bestimmung. Autos fuhren nicht mehr – von einigen uralten Exemplaren abgesehen. Radio, Fernsehen, Internet, Geldautomaten, Fahrstühle und Telefon klangen wie Begriffe aus einer längst vergangenen Epoche. Aufgrund der zusammengebrochenen Kommunikation wusste niemand, was passiert war und die Mutmaßungen reichten von einer kleinen Störung, über einen terroristischen Anschlag, bis hin zu einem Atomkrieg.
    Erst als in den Nächten nach dem Vorfall Polarlichter bis nach Nordafrika ihre Farbenspiele zeigten, konnten sich die Menschen ausmalen, was wirklich geschehen war. Die Zahl derer, die es für eine Strafe Gottes hielten, war erstaunlich hoch. Die Selbstmordrate stieg exorbitant. Sektierer und selbst ernannte Gurus, die ›es schon immer gewusst haben‹ , scharten ihre Anhänger um sich.
    Vier Wochen nach dem Sonnensturm traten die ersten ernsthaften Engpässe bei der Wasser- und Lebensmittelversorgung auf. Plünderungen und Überfälle begannen, Gruppen bildeten sich, das Gemeinwesen mutierte zur Farce. Nach Ethnie, Interessengruppe, Religion oder politischer Ansicht orientierten sich die Leute und schlossen Bündnisse, die alle darauf ausgerichtet waren, der eigenen Gruppe möglichst viel und den anderen Gruppen möglichst wenig von den spärlichen Ressourcen zu sichern. Offiziell gab es noch eine Regierung, die täglich um neunzehn Uhr über Radio die neuesten Notstandsregelungen und Gesetze verkündete. Doch erstens besaß lediglich ein Bruchteil der Bevölkerung ein Notstromaggregat sowie einen mit Röhren betriebenen Empfänger, dem der EMP nichts anhaben konnte, zweitens kümmerte sich niemand tatsächlich um das, was die Damen und Herren in ihrem Bunker in Berlin verlauten ließen. Polizisten und Militärangehörige, die sich ihren Lebensunterhalt mit ›Beschlagnahmungen‹ verdienten, stellten sich als ein denkbar ungeeignetes Werkzeug zur Durchsetzung von Regierungsbeschlüssen heraus.

    *

    Anne und Pascal gehörten keiner Gruppe an. Sie fühlten sich nicht zugehörig. Als klar wurde, dass sich die Lage auf absehbare Zeit nicht bessern würde, hatten sie beschlossen, ihre eigene Vereinigung zu bilden. ›Autonom und autark zu sein‹ , erklärten sie zu ihrem obersten Ziel, und nachdem sie zweimal überfallen, zusammengeschlagen, vergewaltigt und ausgeraubt worden waren, beschlossen sie, dass auch Wehrhaftigkeit zu ihren Grundsätzen gehören sollte.
    Die beiden entschieden sich, die kleine Stadt zu verlassen, um sich bei Pascals Eltern einzuquartieren, die eine Landwirtschaft betrieben. Sie fanden das Anwesen auf dem Hügel verlassen vor. Von den alten Leuten fehlte jede Spur, der Hof war geplündert, die Stall- und Wirtschaftsgebäude niedergebrannt. Im Laufe der Zeit richteten sie sich im Wohnhaus ein und verwandelten es in eine gut zu verteidigende Festung.

    *

    Pascal schloss die Tür hinter sich, legte den schweren Riegel in die Halterungen und schwang den Rucksack auf einen Hocker. Nachdem er ihn geöffnet hatte, zog er ein zylinderförmiges Metallgebilde hervor, an dem zwei Stutzen und ein beweglicher Hebel angebracht waren.
    »Schau mal, was ich hier habe«, verkündete er stolz.
    »Und was ist das Großartiges?« Annes Blick verriet Neugierde.
    »Das, zukünftige Mutter der Kinder des Stammes, ist eine manuelle Ölpumpe. Ich

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