Brandbücher - Kriminalroman
zum Gästezimmer. Sie fand das Telefon versteckt unter Bettwäsche und Handtüchern, die aus einer Aussteuer aus dem letzten Jahrhundert stammen konnten.
»Bessling?«, sagte sie hastig, nachdem sie endlich den Hörer abgenommen hatte.
»Weizmann«, hörte sie und dann wurde ihr schwarz vor Augen.
»Karina, hallo!« Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zu sich kam. Sie lag auf dem Bett im Gästezimmer, auf ihrer Stirn ein nasser Lappen. »Karina, hörst du mich?«
Karina nickte. »Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
»Du bist einfach umgekippt«, antwortete Martin. »Wann hast du denn eigentlich zuletzt etwas gegessen?«
»Heute Mittag mit dir.« Karina sah Martin verwundert an.
»Das ist fast zwölf Stunden her und viel war das auch nicht«, schimpfte der Pfarrer. »Kein Wunder, dass du zusammengeklappt bist.«
Langsam kam die Erinnerung zurück. Sie stützte sich auf die Ellbogen und wollte aufstehen. »Das Telefon. Da war dieser Weizmann, von dem Tante Katharina immer geschrieben hat.«
Martin drückte sie sanft zurück auf das Bett. »Keine Panik. Ich habe die Telefonnummer aufgeschrieben, du kannst ihn zurückrufen. Und es war auch nicht der Weizmann, von dem deine Tante geschrieben hat, sondern sein Urenkel, also der Enkel von Samuel Weizmann.«
Karina sah Martin verständnislos an. »Wieso Enkel und wieso überhaupt Weizmann?«
»Ich glaube, du brauchst erst einmal etwas zu essen.« Martin griff hinter sich und legte einen Pizzakarton auf Karinas Bauch. »Die Polizei dein Freund und Helfer«, sagte er und grinste. »Dein Taschenlampen-Freund kam genau in dem Moment zurück, in dem ich mit der Taschenlampe durch das Haus geisterte, um ein Waschbecken zu finden. Er hat auch die Sicherung wieder eingeschaltet.«
Erst jetzt fiel Karina auf, dass Licht brannte.
»Er hat angeboten, Pizza zu holen, damit du etwas essen kannst, wenn du wieder zu dir kommst.« Martin reichte ihr ein Glas Cola. »Die hat er mitgebracht, um deinen Kreislauf in Schwung zu bringen.«
Karina trank hastig das Glas leer und verschlang in wenigen Minuten die ganze Pizza. Ihr war nicht aufgefallen, dass sie Hunger hatte. »Und jetzt will ich telefonieren«, sagte sie so bestimmt, dass Martin ihr das Telefon reichte. »Ich muss wissen, was es mit diesen Weizmanns auf sich hat.«
»Dann hoffe ich nur, dass du besser bist in Englisch als ich. Jonathan Weizmann hat nämlich aus Santa Monica angerufen. Die gute Nachricht ist, du kannst ihn unbesorgt anrufen, denn bei ihm ist jetzt heller Tag und er wird gerade seine Kaffeepause hinter sich haben.«
*
Samuel hatte sich entschieden, die Vorlesungen zu besuchen, solange das möglich war. Die zwölf Thesen waren eindeutig, und in der Zeitung hatte er gelesen, dass es ein neues Gesetz gab. Das Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen. Danach durften höchsten fünf Prozent der Studenten einer Hochschule Juden sein. Da viele seiner jüdischen Mitstudenten mittlerweile nach Holland ausgewandert waren, war sich Samuel sicher, dass er noch unter die fünf Prozent fiel. Die Entscheidung lag bei der Unileitung, so hatte er es verstanden.
Bruno hatte das anders verstanden, das wurde Samuel klar, als er den Flur vor dem Hörsaal betrat.
»Na, da ist ja unser kleines Jüdchen«, brüllte Bruno ihm feixend entgegen. Samuel sah, wie sich einige Studenten, die die Vorlesung besuchen wollten, umwandten und einen anderen Eingang nahmen. Hätte er doch nur auch einen anderen Eingang gewählt. Aber wie hätte er wissen können, dass Bruno ihm auflauerte? Hatte er nicht genug mit seinem Schandpfahl zu tun?
»Heil Hitler!«, rief Bruno und reckte den rechten Arm in die Höhe.
Samuel sah sich nach einem Fluchtweg um. Hinter ihm kamen weitere Studenten den Flur entlang. Er saß in der Falle. Rechts von ihm befanden sich die Fenster zum Hof und links die Wand des Hörsaals. Vor ihm stand Bruno.
»Willst du mich nicht grüßen?«, fragte Bruno, und jedem, der in der Nähe stand, war klar, dass das keine Bitte oder Frage war, sondern ein Befehl.
Während Samuel mit sich kämpfte, ob er reagieren sollte und ob ein Hitlergruß ihm schaden konnte, hörte er hinter sich ein Rumoren.
»Oh, da ist ja auch der Judenprofessor«, rief Bruno und ließ von Samuel ab. Er wusste nicht, ob er darüber froh oder entsetzt sein sollte, denn nun quälte Bruno Professor Feinstein.
»Na, wie halten wir es denn mit dem deutschen Gruß?« Brunos Augen blickten eiskalt und seine Stimme klang
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