Brandbücher - Kriminalroman
Vater nichts mitbekam. Seit dem Gefängnisaufenthalt war er schreckhaft geworden und schwach.
»Wo sind die Bücher?« Bruno baute sich drohend vor Samuel auf.
Samuel beschloss, sich dumm zu stellen, auch wenn er ahnte, dass Bruno die Bücher jüdischer Autoren meinte. Er hatte sie schon vor Tagen weggeräumt. Er konnte es nicht übers Herz bringen, die Bücher, die seine Kindheit begleitet hatten, zu verbrennen. Aber er hatte ein gutes Versteck gefunden. Niemand würde sie im Grab eines Fleischermeisters vermuten, das gerade ausgehoben worden war, als Samuel ein Versteck gesucht hatte. Der Friedhof schien ihm dafür am besten geeignet.
»Da sind doch genug Bücher, was willst du denn?«, sagte er forsch und beschloss in dem Moment, dass ihm alles egal war. Er war es leid zu kuschen und hatte keine Lust mehr, sich in seinem eigenen Haus demütigen zu lassen.
»Hier. Lauter Lieblingsautoren deines Führers: Hans Friedrich Blunck, Hans Carossa, Hans Grimm.« Er zählte alle bei Nazis beliebten Autoren auf, die er entdecken konnte. Als das erste Mal von einer Verbrennung der Bücher die Rede war, hatte er alle Buchrücken von Autoren, die als empfehlenswert angesehen wurden, mit einem braunen Punkt gekennzeichnet. Wer die Bedeutung nicht kannte, hielt ihn für Fliegendreck. Nur Samuel wusste, dass es geistiger Dreck war, der damit gekennzeichnet war.
»Ich meine die Juden-Bücher und die von den Schmierfinken, die ihnen jahrelang den Steigbügel gehalten haben«, herrschte Bruno ihn an.
Erst jetzt bemerkte Samuel, dass er in der rechten Hand eine kleine Peitsche hielt. Samuel hatte bisher keinen anderen SA-Mann mit Peitsche gesehen, anscheinend war Bruno der Einzige. Vermutlich wollte er sich von den anderen SA-Männern abheben, die nur einen Dolch in dem Lederkoppel stecken hatten.
Bruno schritt an den Buchregalen entlang und schlug abwechselnd mit der Peitsche gegen seine Stiefel oder einen Buchrücken. Samuels Nerven waren angespannt. Auf einmal kicherte er. So sehr er auch versuchte, das Kichern abzustellen, es klappte nicht. Er krümmte sich vor Lachen. Bruno hielt in seiner Wanderung inne und hob die Peitsche.
»Lachst du über mich?« Da war er wieder, der eiskalte Ton in der Stimme. Samuel konnte nicht antworten. Er kicherte weiter, so wie sie früher über ihre gemeinsamen Streiche gelacht hatten.
Bruno ließ langsam die Peitsche sinken und kicherte nun auch. Zuerst leise, dann immer lauter, schließlich erfüllte sein Lachen den ganzen Laden.
Als hätte Brunos Lachen Samuel ernüchtert, wich sein Lachen mit einem Mal dem Gedanken daran, wie er heil aus der Situation herauskommen konnte. Mit Bruno war nicht zu spaßen, das wusste er inzwischen genau. Er schikanierte die Menschen, wie es ihm in den Kram passte, ob er gerade mit ihnen gelacht hatte oder nicht. Da hupte draußen jemand. Die Straße war schmal, es konnten nur mit Mühe zwei Autos aneinander vorbeifahren. Samuel erkannte den Mercedes 22 von Brunos Vater mitten auf der Straße. So wie Brunos Gelächter Samuel zurückgeholt hatte, so schien die Hupe Bruno daran zu erinnern, wo er war. Die Abstände der Huptöne wurden immer kürzer. Da war wieder der eiskalte Blick. Samuel machte sich klein, während Bruno, als wollte er von seinem Ausbruch ablenken, wahllos Bücher aus den Regalen riss.
»Ich komme wieder«, drohte er und hieb mit der Peitsche auf den Ausstellungstisch. »Und dann will ich das finden, was ich suche. Ist das klar?«
Samuel zweifelte nicht daran, dass Bruno seine Drohung ernst meinte, aber er wusste, dass er ihr nicht mehr Folge leisten konnte, selbst wenn er wollte. Inzwischen war ein steinernes Grabmal über den Büchern errichtet worden, das auch Bruno nicht beiseiteschieben konnte.
20
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Herr Weizmann hat sich hingelegt. S a muel ist wieder einmal verschwunden. Wir machen uns Sorgen, aber das interessiert ihn nicht. Die Nazis haben ihn verändert, obwohl er kein Braunhemd ist. Kann er als Jude auch gar nicht sein. Was macht er nur den ganzen Tag? Ich sitze im Laden und passe auf. Es kommt sowieso kaum jemand. Die einen wagen es nicht, bei einem Juden zu kaufen, und die anderen haben kein Geld. Herr Weizmann hat auch keins mehr. Ich habe schon zwei Wochen keinen Lohn bekommen.
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Mein Vater schimpft jeden Tag, wenn ich Gemüse mitnehme. A b er Herr Weizmann und Samuel müssen doch auch essen. In der Buchhändler-Zeitung steht, dass die Studenten Bücher verbrennen. Man kann doch nicht einfach Bücher
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