Brandbücher - Kriminalroman
gehörten sie ihm. Seine hässlichen Stiefel hallten bis zu Samuel, der in sicherem Abstand hinter ihm her lief. Das Rot der Hakenkreuzbinde, die er am Arm trug, schrie Samuel förmlich an. Selbst aus der Entfernung schien Bruno vor Energie und Selbstbewusstsein zu platzen.
»Heil Hitler! Gibt es was Neues?«, brüllte er schon am Eingang der Studentenschaft so laut, dass Samuel weit hinter ihm alles hören konnte.
»Ein Rundschreiben vom Hauptamt für Propaganda«, rief eilfertig ein Student ohne Uniform und Parteiabzeichen.
Samuel, der das Ganze aus sicherer Entfernung beobachtete, wunderte sich, dass dieser Junge überhaupt geduldet wurde. Vermutlich ein Günstling von Bruno, Roloff, Derichsweiler oder einem der anderen Funktionäre, die auf Plakaten auftauchten und große Reden hielten.
»Und, was steht drin?«, schnauzte Bruno den Studenten in einem Ton an, der Samuel dazu brachte, sich ein paar Schritte zurückzuziehen, damit Bruno ihn keinesfalls entdecken konnte.
»Lies selbst.« Was sich der Junge traute. Samuel war beeindruckt. Bruno riss ihm das Blatt aus der Hand. Er überflog schweigend den ersten Teil, dann begann er zu lachen. »Das ist gut.« Für Samuel kicherte er wie ein Mädchen, doch die anderen lachten mit.
»Hört euch das an. Da machen wir mit. Wir werden an allen Hochschulen einen Schandpfahl errichten. Einen klobigen Baumstamm, etwas über mannshoch, auf Hochschulgebiet. An den Schandpfahl werden wir die Erzeugnisse derer nageln, die nicht unseres Geistes sind. Für die Weltbühne dürften zweizöllige Nägel geeignet sein. Für Herrn Stefan Zweig dürften Reißzwecken genügen. Ebenso für Herrn Ludwig und ähnliche Cohns. Für Herrn Tucholsky wären Vierzöller zu empfehlen. Und wir werden diesen Schandpfahl für alle Zeiten stehen lassen.*« Die Studenten um Bruno schwiegen, als er geendet hatte.
Samuel hielt den Atem an. Wenn er jetzt entdeckt wurde, musste er bei Bruno mit allem rechnen. Er entschied sich für den Rückzug. Ihm genügte, was er gehört hatte. Bruno war mit diesem Schandpfahl beschäftigt. Sein Vater war einige Tage gerettet, dann würden sie weitersehen.
18
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Anton hat die Kiste mit den Postk a rten gefunden, die Herr Weizmann mir letztes Weihnachten geschenkt hat. Zwei Zigarrenschachteln voll. Die, die ich noch nicht verwendet habe. »Was willst du denn damit?«, hat er gefragt. Es sind Karten dabei aus der Zeit vor meiner Geburt. So alt. Das geht ihn nichts an. Noch nicht. Verschicken sicher nicht. Ich kenne gar nicht so viele Leute, an die ich sie schicken könnte. Selbst Berta, die ich schon seit der Schule kenne, würde ich keine Karte schicken. Erst schwärmt sie für so eine komische Operette. Sissy wie die Kaiserin, von einem Fritz Kreisel oder so, und dann findet sie diesen Pinsel-Adolf gut. Die kriegt keine Karte. Nie mehr. Ein Braunhemd mit Busen.
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»Schrei b doch einfach an dich«, hat Anton vorgeschlagen. Wenn er wüsste. Wir sind eine komische Familie. Das liegt bestimmt daran, dass wir am Ende der Welt wohnen, wo kaum einer hinkommt. Als hätte ich die Idee nicht auch schon gehabt. Ich schreibe mir selbst Ansichtskarten. Ich schicke sie aber nicht ab, sondern verstecke sie in der Schublade.
»Die ganze Wohnung ist verwüstet«, berichtete Karina schluchzend bei Martin auf dem Sofa. Während ihrer Arbeit auf den Baustellen hatte sie sich ein dickes Nervenkostüm zugelegt. Aber der gewaltsame Eingriff in ihre Privatsphäre verunsicherte sie. Sie konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. Während sie im Zeitungsverlag und bei Martin gewesen war, hatte jemand die gesamte Wohnung durchsucht und das Nebengebäude in Brand gesteckt.
»Die Polizei vermutet, dass der Einbrecher Spuren verwischen wollte und deswegen das Haus angezündet hat«, erklärte Karina Martin, der genauso fassungslos wirkte wie sie.
»Sie haben Hoffnung, dass sie Spuren finden. Wäre der Paketwagen nicht gewesen …« Karina konnte nicht zu Ende sprechen.
»Aber was kann der Einbrecher gesucht haben?« Martin legte beruhigend den Arm um Karinas Schulter.
Diese Frage hatte auch die Polizei ihr wieder und wieder gestellt. »Da gab es doch außer dem Fernseher nicht viel«, antwortete Karina. »Sogar das Netbook hatte ich bei mir.«
Martin schwieg eine Weile, dann sagte er: »Und wenn es um die Unterlagen deiner Tante ging?«
Karina wurde blass. Der Stein und die Nachricht auf dem Anrufbeantworter fielen ihr ein. Die anonyme Botschaft, die Martin
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