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Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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bedenken.
    »Was ich finde ist doch vollkommen schnurz«, gab Kästner zurück. »Gudrun jedenfalls ist fest davon
überzeugt, dass die beiden Alten noch leben würden, wenn nicht passiert wäre, was passiert ist. So gesehen hat dieser Thiel drei Menschenleben auf dem Gewissen.«
    In Pieplow regte sich Widerspruch. Aber er schwieg. Was blieb, war ein ungutes Gefühl und der Gedanke, es wäre besser, dieser Thiel nähme die nächste Fähre und verschwände auf Nimmerwiedersehen. Besser für ihn. Und für alle anderen auch.

7
    »Komm mir bloß nicht damit!«, keifte der Alte. Er riss Rohrbach die Windel aus der Hand und schleuderte sie vom Bett weg.
    »Sei doch vernünftig, Vater.« Rohrbach hob das weiße Plastikding auf und legte es auf der wasserdichten Unterlage wieder zurecht. Der Alte musste nur seinen faltigen Hintern heben, damit er es darunterschieben und an den Seiten schließen konnte.
    »Hau ab damit, sag ich!«
    Jeden Abend das gleiche Geschrei. Jeden Abend der gleiche Ekel vor dieser widerwärtigen Prozedur.
    Rohrbach hörte, wie seine Frau die Wohnzimmertür schloss und den Fernseher lauter stellte. Der Alte spitzte die Ohren.
    »Ich will fernsehen!«, quengelte er.
    »Wenn wir fertig sind«, sagte Rohrbach müde. Er nutzte den Moment, den der Alte abgelenkt war, und brachte die Windel an Ort und Stelle. Jetzt kam nur noch das Theater mit den Tabletten, dann konnte er den Fernseher auf der Kommode ein- und in einer halben Stunde wieder ausschalten, wenn der Alte endlich schlief. Wenigstens sechs, sieben Stunden, bevor er mit
seinem Stock auf den Boden schlug und seinen Sohn vor Tau und Tag aus dem Schlaf riss.
    »Gute Nacht, Vater.«
    Der Alte würdigte ihn keines Blickes.
    Rohrbach zog die Zimmertür ins Schloss. Ein paar Sekunden stand er unbeweglich im Flur, eine Hand auf der Klinke und den Gedanken im Kopf, für den er sich trotz allem schämte.
    Wann würde es hinter dieser Tür endlich still bleiben?
    Es war Sabines Idee gewesen, den Alten aufzunehmen. Ihn, sein Erspartes und die tausend Euro, die sie jeden Monat von seinem Konto abhoben. Anders hätten sie die letzten Jahre nicht überstanden, ohne dieses Haus wieder zu verkaufen, das wunderschön und zwei Nummern zu groß für ihre Lehrergehälter war.
    Er betrachtete sich im Garderobenspiegel an der gegenüberliegenden Wand. Sein blasses, fast mageres Allerweltsgesicht mit dem Ausdruck von Bitterkeit um Augen und Mund. Seine kraftlos gebeugte Haltung, die hängenden Schultern. Er sah einen Mann, der sich mühsam durch seine Tage schleppte und die Nächte kaum ertrug.
    Über sich hörte er das Lachen seiner Töchter. Auf dem Weg die Treppe hinauf in den ersten Stock setzte er das Gesicht auf, das sie von ihm kannten. Lächelnd und so liebevoll, wie er es sich bei ihrem ersten Atemzug geschworen hatte, obwohl er wusste, dass sich Kinder nicht hinters Licht führen ließen. Auch dann
nicht, wenn weniger offensichtlich war, dass etwas nicht stimmte.
    Zweimal: »Schlaf gut, mein Schatz.«
    Zweimal: »Gute Nacht, Papa.«
    Zwei angelehnte Zimmertüren, hinter denen das Licht gelöscht wurde.
    Bevor Rohrbach wieder hinunterging, blieb er ein paar Minuten im Schlafzimmer stehen. Sah durch die Glasfront des Giebels hinaus in die Nacht und fragte sich zum hunderttausendsten Mal, warum er sich dieses trostlose Leben aufbürdete.
    Sein Blick streifte flüchtig das große Bett, in dem er schon lange nicht mehr schlief, dann stieg Rohrbach hinab in den Keller, ohne mit seiner Frau noch ein Wort zu wechseln.

8
    Zwei Tage blieb es mild und sonnig. Nach Osten lag der Bodden unter seiner Eisdecke weiß und wellenlos zwischen den Inseln, im Westen trug eine graublaue See in langen Wogen Nachschub auf den Eiswall an der Wasserlinie. Kein Brandungsrauschen, kein Vogelschrei. Keine Menschenstimmen. Eine klare, vollkommene Stille. Sogar die Möwen segelten lautlos.
    Tags schmolz der Schnee, tropfte von den Dächern und höhlte tiefe Löcher in die Wehen unter den Traufen. Sobald die Sonne an Kraft verlor, fror er zu langen, glasklaren Zapfen.
    Dann packte der Frost wieder zu. Schloss das Eis bis zur Fahrrinne und setzte die Kutter endgültig im Hafen fest. Fraß sich ins Land und sprengte tonnenschweres Geröll aus den Wänden des Steilufers.
    Die Alten behielten das Geschehen im Blick. Die Hände in den Joppentaschen, dunkle Wollmützen tief in die Stirn gezogen, die Augen auf den Horizont gerichtet, wo das Mittagsschiff auftauchen musste.
    Pi mal Daumen alle

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