Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
kennen lernte.
»Wen?«
Leonie.
Marie kannte er schon länger. War ihr immer mal begegnet, seit sie vor zehn Jahren auf die Insel gekommen war. Hatte fast erstaunt registriert, dass sie, anders als so viele mit ganzjährigen Inselträumen, auch die einsamen Winter überstand und aus dem Haus der alten Josefine ein respektables Hiddenseer Anwesen machte.
Dass sie in dieser Zeit auch dem windigen Typen mit den Künstlerallüren auf den Leim gegangen war, behielt Pieplow für sich.
Es wurde ein schöner Tag.
Mit der Frühfähre ging es nach Schaprode. Mit dem Auto durch das herbstbunte Land. Über zwei Brücken, die neue, über dem Sund schwebende und die alte eiserne von Barth über den Bodden nach Zingst. Am Deich entlang auf den Darß.
Von Prerow nach Born. Das blank gefahrene Kopfsteinpflaster hinunter ins alte Dorf. Vorbei an den Fischerhäusern mit ihren bunten Türen. Bis zum Haus, in dem Pieplow aufgewachsen war.
Das Klappen der Tür holte ihn aus der Erinnerung zurück, in der vielleicht noch nachzutragen gewesen wäre, dass Leonie abends seekrank geworden war. Behauptete sie zumindest, während Pieplow weniger die tatsächlich etwas raue Überfahrt als Übelkeitsursache vermutete als die ununterbrochene Folge von Speisen, mit denen das Kind verwöhnt worden war. Pudding mit Himbeersoße, Schokolade, Kuchen, Würstchen, Coca Cola. Eine Mischung, die kurz nach dem Ablegen über die Reling der Vitte gegangen war.
»In zehn Minuten gibt es Essen«, sagte Marie. Sie begutachtete seine Malerbemühungen und schien zufrieden. »Besser hätte ich es auch nicht gekonnt.«
Pieplow lachte. »Versuch nie, einen Polizisten zu beschwindeln. Irgendwann kommt die Wahrheit doch ans Tageslicht.«
»Wenn du das sagst.« Sie trat hinter ihn und schlang ihre Arme um ihn. »Glaubst du, er ist gefährlich?« Von einem Moment auf den anderen klang sie ernst.
»Thiel?«, fragte Pieplow, obwohl ihm sofort klar war, von wem sie sprach. Über das Wenige, was er von Thiel wusste, hatten sie am Morgen gesprochen. »Keine Ahnung. Wenn er fünfzehn Jahre im Gefängnis gewesen ist, wird er wohl wegen Mordes verurteilt worden sein. Heimtücke, Grausamkeit, niedere Beweggründe, etwas in dieser Art muss vorgelegen haben. Aber ob und wie gefährlich er heute noch ist … das kann ich nicht beurteilen.«
»Ich habe ein ungutes Gefühl.« Marie löste ihre Umarmung und sah ihn an.
Da bist du nicht die Einzige, dachte Pieplow und brachte es nicht fertig, irgendetwas Beschwichtigendes zu sagen, um ihr Unbehagen zu zerstreuen.
»Ihr sollt ihn aber nicht überwachen, oder?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Pieplow.
Das Überwachen hatten andere schon übernommen.
»Er war bei seiner Schwester«, teilte Kästner am Abend bei der Dienstübergabe mit.
Stumm und mit gerunzelter Stirn wartete Pieplow auf das, was der Inselfunk sonst noch verbreitet hatte.
»Sie hat ihn gar nicht erst ins Haus gelassen, was ja auch in jeder Hinsicht vernünftig ist. Mit so einer Sorte von Bruder hat man besser nichts zu tun. Fragt sich, warum er überhaupt zu ihr gegangen ist. Schließlich hat sie seit damals kein Wort mehr mit ihm gewechselt.«
»Du bist ja gut informiert.«
»Das will ich meinen«, stellte Kästner selbstzufrieden fest. Er goss sich Kaffee ein und fragte erst, als die Kanne leer war:«Oder wolltest du auch?«
Pieplow winkte ab. Auch den letzten Pfannkuchen ließ er seinem Dienststellenleiter zukommen.
»Und woher hast du deine Weisheiten?«
»Andrea«, sagte Kästner mit vollem Mund. Andrea war seine Frau und über Inselneuigkeiten oft noch detaillierter informiert als ihr Mann. »Gudruns Nachbarin hat’s ihr erzählt.«
Gudrun Breede war keine geborene Thiel, erfuhr Pieplow. Auch die jüngere Schwester nicht. Beide stammten aus der ersten Ehe der Mutter, waren also Stieftöchter des alten Thiel, dem nicht nur das Haus unten an der Sprenge gehört hatte, sondern auch die beiden Wiesen am Vitter Außendeich. Hatte alles der Nichtsnutz von Sohn geerbt. Heiner, der eines der Grundstücke noch vom Knast aus verscherbelt hatte, sobald es als Bauland ausgewiesen war. Von dem Geld hatten die Schwestern keinen roten Heller gesehen.
»Und selbst wenn …« Kästner zog sein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich die zuckrigen Finger. »Sie hätten es nicht angenommen, soll Gudrun gesagt haben. Nicht von einem, der ihre Mutter ins Grab gebracht hat.«
»Findest du das nicht etwas zu dramatisch?«, gab Pieplow zu
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