Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
aus dem maroden Schornsteinkopf barst und zischend über das Dach rollte, fasste der Wind zu, trieb die weiße Säule zur Seite und ließ eine gelbrote Flamme auflodern.
Thiel hörte gedämpfte zufriedene Rufe. Wie bei einem Feuerwerk. Sein Blick jagte über die Gesichter.
Wenn nicht bald etwas geschah, würde von Dach und Haus nicht viel übrig bleiben. Aber keiner der Männer rührte sich. Die Schläuche blieben, wo sie waren, platt und nutzlos im Schnee, auf dem ein Rußfilm wie schwarze Gaze lag.
Aus dem Funkgerät knarzte eine Meldung. Thiel verstand nicht, was gesagt wurde. Er sah nur, dass nichts geschah, dass sie hier standen und glotzten und keinen Finger krummmachten. Wenn das Haus weg war, würden sie auch ihn los sein. So einfach war das.
»Ihr Schweine! Ihr verdammten Schweine!« Wie blind stürzte er sich auf die Männer. Packte den Erstbesten
an der Jacke und schlug zu. Drei-, viermal, bis man ihn wegriss. Er wurde zu Boden geworfen. Jemand stemmte das Knie in seinen Rücken, drehte ihm den Arm hoch zwischen die Schultern und drückte sein Gesicht in den Schnee. Ein paar Mal trat er noch um sich, dann hielt er unter einem Stiefel in seinen Kniekehlen still.
»Lasst ihn los!«
Knie und Stiefel blieben wo sie waren.
»Loslassen, hab ich gesagt!«
Thiels Arm wurde noch ein Stück nach oben und sein Gesicht tiefer gedrückt. Schnee verstopfte ihm Mund und Nase. Er merkte, wie ihm die Luft knapp wurde.
»Erst, wenn du ihm Handschellen anlegst.« Die Stimme war über ihm. Sehr wütend und sehr entschlossen. Wenn der andere Handschellen hatte, musste er Polizist sein. Trotz seiner misslichen Lage stellte Thiel fest, dass es offenbar auch diesmal ein Bulle war, der ihn vor Schlimmerem bewahrte.
»Das entscheide immer noch ich. Und jetzt runter da, Sigi!«
Siegfried Gau. Typisch, dachte Thiel und musste noch ein paar schmerzhafte Sekunden warten, bevor Sigi ihn freigab. Der hat noch nie gern pariert.
»Auf deine Verantwortung, Pieplow. Wenn der nochmal auf mich losgeht, schlag ich ihn tot!« Sigi spuckte roten Rotz in den Schnee. Unter Thiels Faust war seine Lippe geplatzt.
»Wär’ nicht schade drum«, kam es aus der Mauer grimmiger Gesichter. »Wenn sich einer an dem die Finger schmutzig machen will …«
»Am besten, ihr wartet mit dem Löschen, bis er verreckt ist.«
Thiel konnte nicht erkennen, wer das sagte, aber die Stimme verhieß ebenso wenig Gutes wie das Grummeln und Nicken der Köpfe ringsum.
Auch dass für einen wie ihn und seine Baracke jeder Tropfen Wasser vergeudet wäre, fand die Zustimmung der Zivilisten. Wie die Männer der Feuerwehr darüber dachten, ließ sich nicht ausmachen. Sie behielten das Dach im Auge, verständigten sich mit wenigen Worten und knappen Gesten und wirkten zufrieden, als die Flamme über dem Schornstein erlosch.
Die Lage schien sich zu entspannen. Die Männer blieben, wo sie waren. Thiel wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und suchte nach seinem linken Schuh. Sein Sweatshirt war nass, das Unterhemd aus der Hose gerutscht. Er fror und fühlte sich so erbärmlich, wie er aussah.
Heute würde es keine Schwierigkeiten mehr mit ihm geben. Zum Zeichen seiner Kapitulation hob er beide Hände.
»Mach ihm klar, dass man Schornsteinbrände kontrolliert abbrennen lässt. Wenn du sie löschst, fliegt die ganze Scheiße in die Luft. Der Dampf in den Rohren wirkt wie ’ne Bombe.« Zwischen Werner Duve und
Pieplow hatte die Chemie noch nie gestimmt. Dass Duve ihn jetzt heranwinkte, als sei Pieplow der Büttel brandmeisterlicher Erklärungen, machte ihn nicht sympathischer. »Wer Glück hat, kann wieder ins Haus, wenn der Schornstein abgekühlt ist. Er hat aber kein Glück. Der Dachstuhl macht’s nicht mehr lange.«
»Sag ihm das selbst. Er steht neben dir.«
»Mit dem rede ich nicht.« Duve sah stur nach oben.
Pieplow folgte seinem Blick. Es sah wirklich nicht gut aus. Der First war auf halber Länge eingesunken, an mehreren Stellen schwelte die Teerpappe.
»Und nun?« Eine berechtigte Frage. Es war dunkel, es war kalt und ein verurteilter Mörder obdachlos. Auf einer Insel mitten im Eis. Na prima, dachte Pieplow.
»Ich komme schon klar.« Der Zustand von Haus und Dach schien Thiel nicht zu beeindrucken. »Ich brauche nur das Erdgeschoss.« Sein Blick ging an Pieplow und Duve vorbei ins Leere.
»Ob der klarkommt oder nicht, interessiert keine Sau. Aber ich muss dafür sorgen, dass von der Brandstelle keine Gefahr mehr ausgeht. Und das heißt, es
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