Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
verschlossen hat. Nicht dass, wie schon gesagt, das Opfer eine reale Chance gehabt hätte, aber dieses Detail wirft doch ein unschönes Licht auf den Täter.«
»Heiner Thiel.«
»Sie sagen es. Überführt wurde er, weil sich noch in der Tatnacht eine Reihe von Beweisen sichern ließ. Unter anderem eben das Messer, bei dem es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Tatwaffe handelte. Blutantragungen, Schmutzpartikel in der Wunde, Stichkanal – es passte einfach alles.«
»Auch sonst nichts, was auf einen möglichen anderen Täter hätte hinweisen können?«
»Soweit ich weiß, nein. Ob im Verlauf der Ermittlungen auch Entlastendes, etwaige Zweifel Begründendes zu Tage gefördert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe schließlich nur das forensische Gutachten erstellt und damit meinen bescheidenen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten versucht.«
Pieplow saß auf dem Dahlkeschen Sofa und schwieg. So wird es weitergehen, sagte der Realist in ihm. Du wirst auf eine lückenlose Indizienkette stoßen. Sauber ermittelt, logisch aufeinander aufbauend. Und am Ende ein bestens begründetes Urteil.
Und was, wenn nicht? Der innere Zweifler wollte sich so schnell nicht abfertigen lassen.
Blieb abzuwarten, wer die Oberhand gewann.
»Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen den Bericht aushändigen. Als Vertreter der Strafverfolgungsbehörden sozusagen. Sie werden wissen, wie damit umzugehen ist, nicht wahr?«
»Ich denke schon«, antwortete Pieplow und erhob sich.
Fürs Erste blieb nichts, als sich zu bedanken. Für die Zeit und Auskunft des Professors, für die Kopie des Obduktionsberichts. Und noch einmal für Kaffee samt Apfelkuchen natürlich.
»Aber gerne, mein Guter. Es war mir wie immer ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern.« Der Professor öffnete die Haustür. »Ist diese Stille nicht herrlich?« Er atmete tief ein und wies hinaus in den diesigen Spätnachmittag. »Was meinen Sie, wie lange dürfen wir diese wunderbare Eiseinsamkeit noch genießen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Pieplow und hoffte, sie werde in den nächsten Stunden enden, die Eiseinsamkeit.
12
Pieplow zögerte. Läutete an seiner eigenen Haustür und trat sogar den Schritt zurück, den Vertreter, Polizisten und sonstige Türklingler gewöhnlich machen. Aus Geschäftstüchtigkeit, aus Vorsicht oder Höflichkeit. Je nachdem.
Thiel öffnete misstrauisch nur einen Spalt, dann zog er die Tür ganz auf und murmelte etwas Unverständliches. Bevor Pieplow im Flur war, schlurfte er schon ins Wohnzimmer zurück.
Es roch nach ungewaschenem Kettenraucher. Neben Aschenbecher und Tabak stand ein Glas mit einer dunkelgelben Flüssigkeit.
»Sieht aus wie Whisky, ist aber Tee«, sagte Thiel. »Was anderes bleibt nicht drin.«
Er sah grauenvoll aus. Ein Auge hatte sich unter der geplatzten Braue geschlossen, die Haut über dem Jochbein war rotblau und mit Schorf überzogen. Den Tee musste er sich durch den rechten Mundwinkel eingeflößt haben, die linke Seite war bis zur Nase geschwollen.
»Wenn Sie nichts essen können, sollten Sie vielleicht besser auch nicht rauchen«, sagte Pieplow.
»Rauchen verursacht keine Schmerzen, Essen und Kotzen schon.«Thiels rechter Mundwinkel brachte ein halbes Grinsen zu Stande. »Gibt’s was Neues?«
»Inwiefern?« Pieplow warf seine Jacke über die Sessellehne und setzte sich.
»Die Fahrrinne. Ist sie wieder frei?«
»Sie arbeiten daran. Heute Mittag ist die Ranzow in Stralsund ausgelaufen. Bis zur Dunkelheit sollte sie hier sein.«
»Das heißt?«
»Dass es Lebensmittel und Heizöl gibt, mehr nicht. Keine Personenbeförderung. Selbst wenn Sie weniger ramponiert wären, müssten Sie hierbleiben.«
»Was den Vorteil hat, dass ich mit dieser Visage nicht auf Quartiersuche gehen muss.« Thiel kniff vor Schmerz das gesunde Auge zusammen, als er mit den Fingerkuppen seine Wange abtastete. »Was dagegen, wenn ich mich wieder hinlege? Mir ist schwindlig.« Er ließ sich auf das Sofa gleiten und schloss, mit dem Handrücken auf der Stirn, die Augen. Ihm wollte kein Thema einfallen, mit dem er die unangenehme Stille im Raum hätte beenden können.
»Ich glaube, ich habe mich noch gar nicht bedankt«, sagte er schließlich. »Für die Wohnung und alles.«
»Wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, wäre mir das lieber gewesen.«
»Deswegen machen Sie mir jetzt wohl auch einen Krankenbesuch. Aus purer Notwendigkeit.«
»Wenn Sie so wollen. Ich wollte sicher sein, dass Sie
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