Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Füßen.
»Immer nicht«, stellte Mall Breker richtig und schob seinen Priem in die andere Backenseite.
»Wann soll das denn gewesen sein?« Sigi jedenfalls konnte sich nicht erinnern.
»Sechzig, einundsechzig. Da warst du noch nicht mal ’ne Kaulquappe.«
»Das waren andere Zeiten.«
Mall machte eine wegwerfende Handbewegung. Die anderen Alten schüttelten stumm die Köpfe. Andere Zeiten! Als ob der Winter sich darum scherte. Wenn das Eis erst einmal meterdick war, richteten eben auch dreihundert PS nichts mehr aus. Damit musste man leben.
»Sie kehren um!« Plagge brachte die Nachricht aus dem Reedereibüro. »Die Sicht ist zu schlecht, und sie wollen nicht riskieren, dass die Ranzow auch noch verreckt.«
»Tja«, sagte Mall, »das werden wir nun wohl auswettern müssen.« Zufrieden, um nicht zu sagen liebevoll, wanderte sein Blick dorthin, wo jetzt Positionslichter hätten aufblinken sollen. »Hilft ja alles nichts.«
Als das Licht im Reedereibüro erlosch, zerstreuten sich die Männer.
Mit Pieplow hatte keiner ein Wort gewechselt.
Es gab zwei gute Gründe, sich an den Tresen im Godewind zu stellen.
Der eine, eher undienstliche, war Marie. Genauer gesagt, ihre Einsilbigkeit, seit sie wusste, was in der Mappe war, die Pieplow oben ins Bücherregal gelegt hatte. Weit genug weg von Leonies neugierigen Fingern. Trotzdem hatte Marie darauf beharrt, dass sie so beängstigende Dinge wie Obduktionsberichte und Mordurteile nicht im Haus haben wollte.
Pieplow hatte die Mappe genommen und ins Büro gebracht.
Der zweite Grund für das eine oder andere Bier war zweifellos dienstlich. Wenn seine Vermutung zutraf, ließ sich bei dieser Gelegenheit feststellen, wem Thiel sein zerschlagenes Gesicht zu verdanken hatte.
Sie standen zu sechst an der Theke.
Sigi, den es wohl ohne Umweg von der Eisbrecherpleite ins Godewind gespült hatte. Neben ihm Hella, deren Zigarettenladen schon seit Stunden geschlossen war. Keine Zeitungen, kaum noch Zigaretten und ganz
gewiss keine Kunden, die Souvenirs kaufen wollten. Wozu also sinnlos im Laden herumstehen?
Und Zorro war da. Ganz in Schwarz wie immer und mit seiner neuen Flamme im Schlepptau. Ein dünnes, blasses Mädchen, das hier fehl am Platz wirkte. So, als habe sie nur vergessen, die letzte Fähre ans Festland zu nehmen.
Schließlich noch Speedy und Hein, im Sommer treue Stammtrinker im Wieseneck und beide nicht von der zimperlichen Sorte.
Eine erlesene Gesellschaft.
»Was willst du denn hier?« Sofern von einer Begrüßung die Rede sein konnte, war sie alles andere als freundlich.
»Dasselbe wie ihr, schätze ich mal. Oder hat jemand etwas dagegen?« Pieplow bestellte ein Bier und rutschte auf den Hocker rechts außen. Mit bestem Blick auf Theke, Tabak und Hände.
»Wenn du uns mit irgendwelcher Bullenscheiße nervst, schon.« Hein kippte seinen Klaren und knallte das Glas zurück auf den Tresen. Seine Hand lag schwer neben dem Bierdeckel. Grob und voller Narben. Alle alt, alle bei schwerer Arbeit als Fischer verdient. Die eine oder andere ehrliche Kneipenschlägerei nicht mitgerechnet.
Pieplow ließ seinen Blick wandern. Was er sah, überraschte ihn nicht im Geringsten.
»Was bei euch Bullenscheiße heißt, nenne ich Körperverletzung.« Sein Blick ruhte demonstrativ auf
Zorros rechter Hand. »Oder hast du dir die Knöchel beim Schneeschippen zerschrammt?«
»Das geht dich gar nichts an. Meine Pfoten sind meine Sache.« Sein Blick in die Runde forderte Beifall für seine geniale Antwort.
»Sie gehen mich sehr wohl etwas an. Genau wie deine, Sigi. Du kannst sie ruhig wieder aus der Tasche nehmen.« Pieplow trank sein Bier aus. Bestellte ein neues und ließ sich feindselig anstarren. Trank, wischte sich den Schaum von der Oberlippe. Sie wussten, dass er hartnäckig sein konnte. Er brauchte nur zu warten, bis einer von ihnen das Kampfschweigen verlor.
»Hat er sich ausgeheult bei dir, dein Mörder?« Zorro grinste verächtlich.
»Wenn du wissen willst, ob er euch angezeigt hat – nein, hat er nicht.«
»Na also.«
»Nichts na also, Sigi. Ihr könnt von Glück sagen, dass er nicht im Schnee liegen geblieben ist. Dann hättet ihr jetzt nämlich eine Todesfallermittlung am Hals.«
Sigi schwieg bockig, Speedy und Hein verschwanden mit ihren Zigaretten nach draußen. Der Wirt stülpte ein Glas so energisch über die Spülbürste, dass es zerbrach.
»Er begreift eben nicht, dass er sich vom Acker machen soll.« Zorro blieb stur.
»So ist es«, sekundierte
Weitere Kostenlose Bücher