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Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Er sagt, kein Staatsanwalt der Welt nimmt ein Verfahren wieder auf, nur weil zwei Typen wie Ostwald und ich Wahrheitsfindung betreiben.«
    »Das war’s?«
    »Im Großen und Ganzen, ja.«
    »Für Sie auch, Pieplow? Ziehen Sie jetzt den Schwanz ein, oder was?«
    »So würde ich es nicht ausdrücken«, erwiderte Pieplow pikiert. »Ich weiß nur nicht, was wir noch tun könnten.«
    Aber ich, dachte Thiel.
    Er griff nach dem Glas und leerte es in einem einzigen Zug.
    Gern hätte er jetzt jemandem auf die Schnauze gehauen. Einfach so. Zuschlagen, bis die Wut verebbte. Nach fünfzehn Jahren Knast wusste man, wie gut das tat.
    Er presste die Zähne aufeinander, bis sein Kiefer schmerzte, und wartete stumm, bis Pieplow ihn endlich allein ließ.
     
    Irgendwann war die Flasche leer. Er glaubte, Hunger zu haben, und brachte es fertig, eine Bohnensuppendose zu öffnen, bevor sie ihm entglitt und sich über den Boden ergoss. Die grünweiße Pampe ließ sich nur teilweise in die Dose zurückschieben, im Rest rührte er eine Weile mit dem Spüllappen herum, dann gab er auf. Aus der Hocke kam er noch hoch. Aber der Weg durch Bohnensuppe und Dreckwäsche zum Sofa zurück erwies sich als schwierig. Auf der Suche nach einer Stütze griffen seine Hände ins Leere. Seine Knie gaben nach, er stürzte mit einer halben Drehung vornüber. Als sein Kopf auf die Tischkante schlug, begann die frischverheilte Wunde über dem Auge wieder zu bluten.
    Kurz nach zwei wälzte er sich stöhnend vom Bauch auf den Rücken. Morgens um fünf pisste er sich ein. Gegen Mittag kam er das erste Mal zu sich. Stellte fest, dass es ihm noch nie beschissener gegangen war, drehte sich auf die Seite und schlief weiter.
    Als er endgültig wach wurde, war es fast vier.
    Sein Kopf schien auf das Doppelte angeschwollen und schmerzte, als stecke er in den Zwingen einer sadistischen Versuchsanordnung. Trotzdem brachte er einen Gedanken zu Stande, der nach und nach schärfer wurde.
    Warum nicht, dachte Thiel.
    Es ist ja nicht so, dass ich etwas zu verlieren hätte.
    Er stand mit der gebotenen Vorsicht auf und schleppte sich ins Bad, wo er sich mit einiger Abscheu
im Spiegel betrachtete, bevor er den Wasserhahn aufdrehte.
    Nachdem er geduscht und die Wunde über dem Auge mit einem Pflaster versorgt hatte, stellte er sich den Verwüstungen der vergangenen Tage. Wischte die Bohnensuppe auf, stopfte die Wäsche in die Waschmaschine, sammelte leere Dosen und Flaschen in zwei Plastiktaschen und stellte sie in den Flur. Als es dunkel wurde, sah die Wohnung halbwegs manierlich aus.
    Er rauchte eine Zigarette, obwohl ihm speiübel davon wurde, dann begann er zu suchen. Er fand die Schlüssel in einem Holzkasten auf dem Bücherregal. »Autohaus Abraham« stand mit goldfarbenen Buchstaben auf dem Etui.
     
    Das Mittagsschiff machte mit zehn Minuten Verspätung in Schaprode fest. Niemand nahm davon Notiz, dass Thiel nicht in den Bus nach Bergen einstieg.
    Es gelang ihm auf Anhieb, den Wagen anzulassen. Ihn rückwärts aus der Garage zu fahren erwies sich als ungleich schwieriger. Beim Schalten zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang zerrte metallisches Knirschen an seinen Nerven, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er das Auto auf der Straße hatte. Vorsichtshalber ließ er den Motor laufen, während er das Garagentor schloss.
    Seine Fahrerlaubnis war das Papier nicht mehr wert, auf dem sie stand. Nicht mal zwei Jahre hatte er ein
eigenes Auto besessen und längst das Gefühl für Entfernungen und Geschwindigkeit verloren. Die ersten Kilometer fuhr er nicht schneller als fünfzig und fast in der Mitte der Straße. Vor jeder Kurve schlug sein Herz schneller, und bei Gegenverkehr brach ihm der Schweiß aus. Dass alle anderen rasten wie Wahnsinnige, kam ihm vielleicht nur so vor, machte die Sache aber nicht einfacher.
    Trotzdem erreichte er sein Ziel. Erschöpft, aber unversehrt.
    Als er kurz nach zwei das Ortsschild Groß Zicker passierte, hörte er Glockenläuten durch das halb heruntergelassene Fenster. Über den Vorplatz mit den alten Grabsteinen hasteten zwei schwarz gekleidete Gestalten der Kirche zu.
    Es schien, als hätten sie beim Anblick des roten Autos kurz innegehalten.
    Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Kein Auto auf der Straße, kein Spaziergänger, obwohl der Tag nicht unfreundlich war. Wolkig mit heiteren Abschnitten, niederschlagsfrei. Thiel ließ den Wagen langsam übers Kopfsteinpflaster rollen. Die Adressen im Telefonbuch hatten ihm wenig gesagt, aber jetzt

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