Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Er werde, hatte er mitteilen lassen, für Ehmkes Vernehmung zur Verfügung stehen. Allerdings nur unter zwei Bedingungen – dass Polizeiobermeister Pieplow ihn begleitete und dass Staatsanwältin Sander höchstpersönlich das Verhör führte. Niemand sonst.
Die Staatsanwältin wirkte angespannt, als sie sich das erste Mal in ihrem Büro gegenübersaßen. Sie sprach mit erhobener Stimme und sorgfältiger Betonung, als sei Ostwald nicht nur stumm, sondern auch ebenso taub wie begriffsstutzig.
Er lächelte nachsichtig, nickte mit einer leichten Seitwärtsbewegung des Kopfes und hob die rechte Hand zu einer auffordernden Geste.
»Ja, also … Ich weiß nicht, was …« Die Staatsanwältin sah irritiert zu Pieplow hinüber.
»Die Ermittlungsergebnisse«, übersetzte er. »Herr Ostwald möchte auf den neuesten Stand gebracht werden.« Zufrieden stellte er fest, dass beide nickten.
»Natürlich.« Die Staatsanwältin räusperte sich, bevor sie begann.
»Bei der Wohnungsdurchsuchung nach der Verhaftung von Herrn Ehmke haben wir die Anzeige und das Protokoll von Rohrbachs Festnahme gefunden und auch die beiden …«
Ostwald unterbrach sie mit einer Handbewegung. Er kniff die Augen zusammen und hob fragend die Brauen.
Sonst nichts?
Staatsanwältin Sander errötete unter Ostwalds misstrauischem Blick.
»Nur Nebenfunde, die mit den Mordfällen Fischer und Rohrbach nichts zu tun haben.«
Ostwalds Fingerspitzen trommelten ungeduldig auf die Tischplatte.
Welche Nebenfunde?
»Anzeigen, Festnahmeprotokolle, Zeugenaussagen, Beweisfotos. Genug Material, um ein knappes Dutzend Menschen unter Druck setzen zu können. Unter anderem vier Kollegen aus dem Bereich der Polizeidirektion.«
Verdammt. Ostwald schlug mit der flachen Hand auf seine Stuhllehne. Als ob er es geahnt hätte.
»Die Beamten, die Rohrbach damals festgenommen und bei Ehmke abgeliefert haben, gehörten aber nicht dazu, falls Sie das vermuten«, fuhr die Staatsanwältin fort. »Beide haben Rohrbachs Darstellung bestätigt. Sie haben ihn aufgegriffen und der Kripo überstellt. Damit war der Fall für sie erledigt.«
Ostwald nickte. Polizeialltag eben.
Weiter.
»Bleiben noch die Geständnisse von Möhle und Baring«, sagte die Staatsanwältin. »Möhle hat zugegeben, dass er zu betrunken war, um überhaupt etwas bezeugen zu können, aber die Gelegenheit nutzen wollte, Thiel loszuwerden. Und Baring hat zwar jemanden gesehen, aber nicht erkannt. Er hat nur ausgesagt, was Ehmke im Protokoll haben wollte, weil der dafür gesorgt hatte, dass einer Anzeige wegen Fahrerflucht gegen Baring nicht nachgegangen worden war.« Staatsanwältin Sander lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und schwieg ein paar Sekunden. »Das ist alles«, sagte sie dann. »Mehr haben wir nicht. Außer Rohrbachs Brief keine weiteren Zeugenaussagen, keine Sachbeweise. Ehmke räumt ein, dass er die Zeugen vielleicht beeinflusst, aber niemals erpresst hat. Alles andere streitet er ab, und wenn wir Pech haben, kommt er damit sogar durch.«
Ostwald schürzte die Lippen und wiegte den Kopf bedächtig hin und her.
Wir werden sehen. Noch ist nicht aller Tage Abend.
Vierzehn Tage Untersuchungshaft hatten ihre Spuren hinterlassen.
Ehmkes Gesicht war schmaler, als Pieplow es in Erinnerung hatte. Unter den Augen lagen dunkle Schatten, die Haut war fahl und an den rasierten Wangen so trocken, dass sie schuppig wirkte. Ansonsten strahlte er immer noch den Hochmut und die Selbstgefälligkeit
aus, die Pieplow schon bei ihrer ersten Begegnung unsympathisch gewesen war.
Als er in den Vernehmungsraum geführt wurde, stockte sein Schritt. Für einen winzigen Moment weiteten sich seine Augen, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er sah fast gelangweilt aus, wie er auf dem Stuhl Platz nahm, der ihm angewiesen wurde. An der Längsseite des rechteckigen Tisches, im Zentrum von Ostwalds Blickfeld, der ihm gegenüber neben der Staatsanwältin saß. Von seinem Platz an der Stirnseite sah Pieplow ihre Gesichter im Profil. Das konzentrierte, mühsam höfliche der Staatsanwältin. Ostwalds steinerne, vollkommen ausdruckslose Miene. Den kalten Blick, mit dem er Ehmke belauerte. Ein Jäger und seine Beute.
»Darf ich fragen, was das hier wird?« Ehmke klang ärgerlich und spöttisch zugleich.
»Aber sicher.« Auch der Ton, den die Staatsanwältin anschlug, war nicht eindeutig. In ihrer Höflichkeit schwang hörbar ein Quantum Herablassung mit. »Von jetzt an werde ich Ihre Vernehmung
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