Brandfährte (German Edition)
«Die Täter leben laut Pass in Lettland, sind aber gebürtige Russen. Ihr Deutsch beschränkt sich auf das Notwendigste.»
Ein MEK -Beamter, der an der Festnahme beteiligt war, unterbrach seinen Chef: «Früher dachte ich immer, das wäre ‹Danke› und ‹Auf Wiedersehen›. Heute weiß ich, dass es ‹Geld, los, los› ist. Damit sind die beiden ziemlich weit gekommen. Immerhin haben sie knapp 15000 Euro erbeutet.»
An der Stelle schaltete sich Marx erneut ein: «Zwei von unseren Leuten durchsuchen gerade mit Kollegen der Schutzpolizei die Unterkunft der Täter in der Neustadt. Bisher habe ich noch keine Rückmeldung, ob sie das Geld gefunden haben.»
Um 21 Uhr begann die erste Vernehmung. Der 38 -jährige Russe wirkte völlig unbeteiligt. Er behandelte Steenhoff und Petersen wie Luft. Der Russe hatte seine Hände auf die Oberschenkel gelegt, saß steif auf seinem Stuhl und starrte, ohne eine Miene zu verziehen, auf die gegenüberliegende Wand, die in einem matten Grün gestrichen war. Die Fragen der beiden Beamten perlten an ihm ab. Noch nicht einmal sein Alter wollte er bestätigen, geschweige denn seine Nationalität.
Steenhoff bot ihm eine Zigarette an, aber der Mann würdigte ihn keines Blickes.
Nach einer Weile fragte sich Steenhoff, ob der Festgenommene überhaupt Russisch sprach. Er schaltete das Aufnahmegerät aus und befahl dem Übersetzer: «Sagen Sie ihm, dass wir die Botschaft und seine Familie von der Festnahme informiert haben.» Er zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: «Und sagen Sie ihm, seine Mutter wolle unbedingt mit ihm sprechen.»
Während der Dolmetscher seine Sätze ins Russische übersetzte, beobachtete Steenhoff gespannt den vor ihm sitzenden Mann. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen seine Augen zu flackern. Er hatte verstanden. Dennoch spielte er weiterhin den Unbeteiligten.
Als Steenhoff ihn nach einer halben Stunde unvermittelt anbrüllte, zuckte er nicht einmal zusammen. ‹Der ist durch ganz andere Verhöre gegangen›, dachte Steenhoff. Wieder kam ihm der Gedanke, dass die ungewöhnlich brutal auftretenden Räuber möglicherweise Kriegsveteranen waren.
«Fragen Sie ihn, wie lange er in Tschetschenien gekämpft hat», wandte er sich an den Dolmetscher. Der Mann schaute ihn verwundert an, tat aber wie ihm geheißen.
Zum ersten Mal zeigte der Russe eine Regung. Ihre Blicke trafen sich. Steenhoff spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. ‹Der hat keine Angst zu töten›, dachte er. ‹Und er hat es schon getan.›
Auch er selbst hatte es schon tun müssen. Gut ein Jahr war es jetzt her, aber manchmal verfolgte ihn der Schuss aus seiner Dienstpistole noch in seinen Albträumen. Während er sich an das Gesicht des Täters merkwürdigerweise kaum noch erinnern konnte, hatte sein Gedächtnis den jungen Notarzt, der mit zwei Sanitätern am Tatort eintraf, in allen Einzelheiten gespeichert. Im Traum sah er Steenhoff ernst an und schüttelte dann den Kopf.
Hans Bilg war ein Serienmörder gewesen, ein gefährlicher Psychopath. Steenhoff hatte in der Nacht, als das Drama auf der Jugendfarm passierte, in Notwehr gehandelt. Aber es blieb dabei: Er hatte einen Menschen getötet, und damit würde er leben müssen. «Jeder Mensch, gleichgültig welche gesellschaftliche Stellung oder Bildung er hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen zum Mörder werden», hatte ein Richter am Landgericht einmal zu ihm gesagt. Eine deprimierende Aussage, und Steenhoff wusste nicht, ob er ihr zustimmen konnte – oder wollte. Tatsache war, dass der Durchschnittsbürger dem Mörder viel näher war, als die meisten Menschen annahmen.
Doch der Russe, der die leere grüne Wand mit seinem Blick zu durchbohren schien, gehörte einer anderen Kategorie an. Steenhoff konnte es nicht beweisen, aber er spürte, dass der Mann weder Skrupel noch Mitleid kannte.
Nach anderthalb Stunden brachen sie die Vernehmung ergebnislos ab.
«Ob er auspackt, wenn er ein paar Tage allein in der Zelle gesessen hat?», fragte Petersen in den Raum hinein. Steenhoff zuckte mit den Achseln. «Ich glaube, der Kerl ist eine harte Nuss. Der lässt sich davon nicht beeindrucken. Wenn sein Freund aus demselben Holz geschnitzt ist, dann werden wir uns auf eine mühselige Beweisführung einstellen müssen.»
Steenhoff seufzte, goss sich ein Glas Wasser ein und bat einen Kollegen von der Schutzpolizei: «Hol uns bitte den zweiten Mann.» Der Russe hatte kaum den Raum betreten, als Steenhoff schon seine
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