Brandfährte (German Edition)
war.
«Junge Frau starb bei Zimmerbrand»
, lautete am Montag die Überschrift im
Weser Kurier
. Es war nicht mehr als eine zweispaltige Meldung auf Seite eins der Lokalausgabe. Die anderen Zeitungen hatten dem Brand noch weniger Zeilen gewidmet. Er hatte die Meldung im
Weser Kurier
so oft gelesen, dass er sie schon auswendig kannte. Dennoch konnte er an diesem Morgen der Versuchung nicht widerstehen, den kurzen Artikel noch einmal durchzulesen. Obwohl seine Schreibtischlampe hell genug war, ging er mit dem Zeitungsausschnitt zum Fenster.
«Aufgeregte Anwohner haben am Sonntagvormittag in Findorff die Feuerwehr alarmiert. Wie die Pressestelle gestern mitteilte, stand die Wohnung einer 31 -jährigen Frau bereits in hellen Flammen, als die Rettungskräfte am Brandort eintrafen. Bis auf eine ältere Frau waren alle Bewohner vorm Eintreffen der Feuerwehr auf die Straße geflüchtet. Die Rentnerin musste mit einer Fluchthaube in Sicherheit gebracht werden. Sie wurde mit dem Verdacht auf eine Rauchvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. Für eine 31 -jährige Frau kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die Helfer fanden ihren Leichnam im Schlafzimmer der Zweizimmerwohnung, die bei dem Feuer stark zerstört wurde. Nach den bisherigen Ermittlungen war die Frau mit einer brennenden Zigarette im Bett eingeschlafen. Bei dem Brand entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 50000 Euro.»
Er bezweifelte die Höhe des angegebenen Schadens. Maikes Möbel waren von Ikea gewesen. Wie kam der Journalist auf so eine gigantische Summe? Maikes Küche und das Wohnzimmer kamen ihm wieder in den Sinn. Es hatte merkwürdig ausgesehen. Der Toaster im Bücherregal und die Kisten voll Geschirr auf dem Boden. Wollte Maike ausziehen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm eine solch wichtige Entscheidung entgangen wäre. Auf der anderen Seite hatte er in den vergangenen Wochen nur selten Gelegenheit gehabt, Maikes Briefkasten im Hausflur zu kontrollieren und nach wichtigen Informationen durchzugehen. Dafür hatte er ihr sorgsam zusammengebundenes Bündel Altpapier, das sie alle 14 Tage an die Straße stellte, jedes Mal mitgenommen. Maike war kein spontaner Mensch. Wenn sie abends das Haus verließ, was selten vorkam, hatte sie Karten für ein Konzert oder ging mit Bekannten ins Kino. Die Kulturseite der Zeitung las sie besonders gründlich. Er fand im Altpapier immer etwas angekreuzt, was sie ihm wieder ein kleines Stückchen näherbrachte. Jedes Detail war ihm wichtig. Im Sommer hatte er sie einmal damit überrascht, dass er bei einem Irish-Folk-Konzert direkt hinter ihr saß. Damals grüßten sie sich noch und wechselten gelegentlich ein paar Worte. Er hatte sich nah am Ziel geglaubt.
Ein paar Tage später ging sie mit einer ihrer Kolleginnen ins Kino. Sie hatte den Film auf der Kinoseite der Tageszeitung angestrichen, die sie wie ihre zerrissene Post ins Altpapier gegeben hatte. Der Film lief an drei Abenden die Woche in ihrem Lieblingskino. Er musste nur warten. Er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, als er sie in der zweiten Woche mit einer jungen Frau aus der Straßenbahn steigen sah.
Das Mädchen in dem Kassenhäuschen verkaufte ihm einen Platz direkt neben ihnen. Die Frauen waren so sehr ins Gespräch vertieft, dass sie keinen Blick für die anderen Besucher hatten. Als das Licht nach dem Vorfilm kurz wieder anging, beugte er sich vor und grüßte sie charmant lächelnd. Sie starrte ihn verblüfft an und murmelte schließlich ein paar Floskeln. An jenem Abend spürte er zum ersten Mal ihre Unruhe. Ihre Begleiterin, in der er eine ihrer Kolleginnen aus der Praxis erkannte, plauderte dagegen munter drauflos und versuchte mit ihm zu flirten. Er wusste, dass er auf viele Frauen anziehend wirkte.
Auf einer Weihnachtsfeier hatte sich ihm eine Kollegin einmal regelrecht an den Hals geworfen, nach dem dritten Punsch. Er nahm sie nach der Feier mit zu sich nach Hause. Der Sex mit ihr war kurz und nüchtern. Anschließend ging er duschen und bestellte der Frau noch mitten in der Nacht ein Taxi. Zum Abschied wollte sie ihm einen Kuss geben, aber er hatte sich diese unnötigen Sentimentalitäten verbeten. Tatsächlich widerten ihn die meisten Frauen an. Er liebte das Besondere, das Einzigartige. Frauen wie Maike, mit langen dunklen Haaren, die den Eindruck erweckten, auf nichts und niemanden angewiesen zu sein. Eine Frau, die nicht schnell zu erobern war, unabhängig und unergründlich. Wie Maike. Keine im landläufigen Sinne hübsche Frau.
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