Brandfährte (German Edition)
in der Vernehmung benutzt hatte. «… ‹Ernte› auch noch woanders eingefahren haben. Morgen werden wir die Fotos an die anderen Landeskriminalämter schicken.» Steenhoff griff sich seine Lederjacke und bedeutete seiner Kollegin mit einem Kopfnicken, die Tischlampe auszuschalten.
«Er scheint die Vernehmung eher als Lebensbeichte zu empfinden», sagte Petersen im Hinausgehen.
«Ja.» Steenhoff lächelte. «Es schadet nicht, wenn er uns mit seinem Priester zu Hause verwechselt. Er wird noch früh genug merken, dass er von uns keine Absolution erhält.»
Sie verabschiedeten sich auf dem menschenleeren dunklen Parkplatz des Präsidiums.
Steenhoff bot Petersen an, sie nach Hause zu fahren, doch sie bestand darauf, dass ihr die Fahrt auf ihrem Mountainbike guttue. Als sich die Schranke hob, sah er, wie Petersen beim Abbiegen eine rote Ampel missachtete.
Während er durch die menschenleeren Straßen fuhr, musste er an Ira denken. Plötzlich spürte er, wie er sich nach ihrer Nähe und nach ihrem Körper sehnte. Sie hatten seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen. Dabei fand er sie noch immer anziehend. Steenhoff fuhr zusammen, als ihn plötzlich ein Motorradfahrer wie aus dem Nichts überholte und scharf nach rechts in eine Seitenstraße abbog. Er fragte sich, was eigentlich in den vergangenen Monaten zwischen ihnen gestanden hatte. Ira hatte es ihn schon vor Wochen gefragt. Wie so oft in ihrer Beziehung hatte sie die ungute Stimmung in Worte fassen können.
«Ich habe das Gefühl, du kapselst dich seit der Sache auf der Jugendfarm ein», hatte sie eines Sonntagmorgens gesagt, als sie mit einem Becher Kaffee in der Hand neben ihm im Bett lag. Steenhoff wehrte ab, aber Ira war keine Frau, die Ungesagtes liebte, und sie hatte darauf bestanden, dass er sich verändert hatte. Dann richtete sie sich auf und sah ihn ernst an. «Ich weiß, du magst das nicht hören. Aber du reagierst schon bei Kleinigkeiten, die schiefgehen, aggressiv. Du schläfst schlecht und wirkst permanent angespannt. Und Sex scheint dich überhaupt nicht mehr zu interessieren.»
Einen Moment fühlte sich Steenhoff wie vom Donner gerührt. «Das ist doch totaler Quatsch», fuhr er Ira an, sprang wütend aus dem Bett und ging duschen. Als er zurückkam, lag sie noch immer im Bett. Er griff sich seine Sachen, um sich im Bad anzuziehen, doch Ira ließ ihn nicht gehen und nahm den Faden wieder auf. «Frank. Ich wollte dich nicht verletzen. Aber du bist so anders als sonst. Wir müssen aufpassen, dass uns deine Arbeit nicht kaputtmacht.»
Er erwiderte nichts und ging einfach aus dem Zimmer. Aber er dachte noch oft über Iras Worte nach. Sie hatte recht. Hans Bilg war tot, aber er wurde ihn trotzdem nicht los. Ein paarmal nahm er sich vor, den Polizeipastor anzurufen, einen erfahrenen Seelsorger. Sie spielten beide begeistert Saxophon, und nach dem Tod von Hans Bilg hatten sie sich ab und zu getroffen und manchmal Musik gemacht. Doch irgendwann nahm der nächste große Mordfall Steenhoff wieder ganz in Anspruch. Er ließ den Kontakt einschlafen und redete sich ein, dass jeder normal empfindende Vater seine permanente Sorge um Marie verstehen würde.
Steenhoff bog auf eine einsame Landstraße ein. Um diese Uhrzeit war er der einzige Mensch, der auf dem Damm durchs Moor fuhr. Nach gut 20 Minuten stand er vor seinem Haus. Eines der Sprossenfenster war erleuchtet. Ira hatte ein Licht im Schlafzimmer brennen lassen. ‹Vielleicht ist sie noch wach›, dachte er. Plötzlich hatte er es eilig. Ohne den Wagen abzuschließen, lief er auf die Haustür zu, redete leise auf Maries Hund ein, der ihn schwanzwedelnd begrüßte, und zog sich sein Jackett im Laufschritt auf der Treppe aus.
Er hatte Lust. Er wollte Ira umarmen, sie ausziehen. Steenhoff öffnete die Tür und blieb mit einem Ruck stehen.
Das Bett war leer. Auf seinem Kopfkissen lag ein Zettel.
«Schlafe heute Nacht bei Katrin. Große Krise. Muss morgen mit dir reden.»
8
Die Zeitungsberichte lagen in einer Klarsichthülle. Er hatte sie direkt in der Woche nach dem Feuer abgeheftet. Wieder und wieder hatte er die Artikel nach Maikes Tod gelesen. Zuerst unruhig und beklommen. Doch seine anfängliche Sorge war schließlich tiefer Genugtuung gewichen. Weder das Anzeigenblatt, das jeden Donnerstag in seinem Briefkasten lag, noch die
Bildzeitung
, noch das Boulevard-Blatt
Zack
, noch der
Weser Kurier
zweifelten daran, dass die 31 -jährige Frau Opfer eines tragischen Unfalls geworden
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