Brandfährte (German Edition)
dass sie wahrscheinlich telefonierte.
«Wieso denn noch einen Tag länger?», hörte er sie empört sagen. Die weiteren Sätze konnte er nicht mehr verstehen. Petersen sprach leise und eindringlich weiter. Eine halbe Stunde später ging Steenhoff in den Sozialraum, um sich von Petersen an der Tür ablösen zu lassen.
Sie blätterte fahrig in der Zeitung und schien ihn im ersten Moment gar nicht zu bemerken.
«Du bist dran, Navideh», sagte Steenhoff und goss sich einen Kaffee aus der Thermoskanne ein. Er sah, wie Petersen ihr Handy aus der Tasche holte und verstohlen auf das Display schaute. Sie schien auf eine Nachricht zu warten.
Der Nachmittag zog sich zäh in die Länge. Petersen verschickte eine SMS nach der anderen, sobald sie in dem Kabuff saß, wie sie den Hinterraum inzwischen nannten. Sie wirkte still und bedrückt.
Da sie nichts sagte, tat Steenhoff, als würde er nichts bemerken. Steenhoff wollte gerade seine letzte Wachschicht für diesen Tag antreten, als er die Verkäuferin schreien hörte. Hastig riss er seine Pistole aus dem Holster und zog die Tür zum Verkaufsraum auf. Hinter ihm stand Petersen mit entsicherter Waffe.
Verdeckt von einem Ständer für Sanitärartikel, schien sich ein heftiger Kampf abzuspielen. Während sie auf die Szene zurannten, sah Steenhoff nur den Hinterkopf der Frau. Ihr Oberkörper wurde hin- und hergerissen. Die Frau schien jemanden festzuhalten, der sich nach Kräften wehrte. Die Stimme der Verkäuferin überschlug sich vor Wut: «Du entkommst mir nicht, du Miststück, warte, jetzt haben wir dich.»
«Polizei. Geben Sie auf», brüllte Steenhoff und kam mit einem Satz hinter dem Ständer vor. Sekundenbruchteile später tauchte Petersen vom anderen Ende der Regalreihe auf. Was sie sahen, machte Steenhoff einen Moment sprachlos. Puterrot im Gesicht hatte die Verkäuferin einen etwa neunjährigen Jungen in den Schwitzkasten genommen, der sich verzweifelt aus der Umklammerung zu befreien versuchte. Steenhoff sah nackte Panik in den Augen des Kindes.
«Sind Sie wahnsinnig geworden?», herrschte Steenhoff die Frau an. «Lassen Sie den Jungen auf der Stelle los.»
«Ich denke gar nicht dran», stieß die Frau mühsam um Luft ringend hervor. «Der hat geklaut. Und zwar nicht das erste Mal. Den können Sie gleich mit auf die Wache nehmen!»
«Loslassen, habe ich gesagt», brüllte Steenhoff sie an. «Sonst nehme ich Sie mit!»
Verblüfft schaute die Frau die beiden Polizeibeamten an.
«Aber das ist ein Dieb!», jammerte sie und griff den Arm des Jungen, der wie gelähmt zwischen den tobenden Erwachsenen stand. Gewaltsam bog sie die kleine Hand auf und hielt Steenhoff triumphierend einen zerquetschten Schokoriegel vors Gesicht. «Letzte Woche ist der hier mit einem Kaugummi rausgelaufen», stieß sie hervor und sah das Kind wutentbrannt an.
Steenhoff sah, dass dem Jungen ein paar Tränen über die Wangen liefen. Petersen hatte sich zu ihm runtergebeugt und sprach leise auf das Kind ein.
«Ja, jetzt kann er heulen», keifte die Verkäuferin. «Aber morgen kommt er mit unschuldigen Augen wieder hier rein, und in zwei Jahren reißt er alten Frauen die Handtasche weg.»
«Jetzt reicht’s», sagte Steenhoff bestimmt und schob die Frau in eine Ecke des Geschäftes. Sie wirkte völlig hysterisch auf ihn. Mit festem Griff umfasste er ihre Schultern und sah sie fest an.
«Wir sind nicht hier, um kleine Strolche festzunehmen, die Kaugummi stehlen, sondern um Sie vor zwei brandgefährlichen Gewalttätern zu schützen. Geht das, verdammt noch mal, jetzt in Ihren Kopf?»
Die Reaktion kam für ihn völlig überraschend.
Weinend sackte die etwa 50 -jährige Frau in sich zusammen. Steenhoff konnte sie gerade noch auffangen. Hemmungslos schluchzend klammerte sie sich an ihn.
«Ist ja gut, beruhigen Sie sich wieder.»
Die Verkäuferin war am Ende ihrer Kräfte. Sie hatten unterschätzt, welchen Druck die Angst vor den unbekannten Tätern und die Polizeiaktion in der Angestellten aufgebaut hatten.
Schwer atmend löste sich die Frau schließlich von Steenhoff und wischte sich mit ihrem weißen Kittel das Gesicht ab. «Entschuldigen Sie bitte, Herr Kommissar. Ich bin sonst nicht so.» Um Verständnis heischend sah sie ihn an. «Ich habe doch auch Enkelkinder.»
«Jeder kann mal durchdrehen», tröstete Steenhoff sie. «Und jetzt bringt meine Kollegin den Kleinen hier nach Hause, und wir schließen für heute den Laden.»
Er ging auf Petersen und das Kind zu. «Wie heißt du denn
Weitere Kostenlose Bücher