Brandfährte (German Edition)
mehr erinnern. Er war schon früh aus seinem Leben verschwunden. Den Erzählungen seiner Tante zufolge hatte sein Vater keinen Unterhalt für das «Kuckuckskind» zahlen wollen. Daraufhin zerriss Steenhoffs Mutter eines Tages alle Fotos ihres ersten Mannes und warf sie in den Mülleimer. Ein paar Jahre später entledigte sie sich auch ihres ersten Sohnes.
Als erwachsener Mann sagte sich Steenhoff später oft, wie viel Glück er mit Else und Willi gehabt hatte. Bessere Eltern konnte er sich nicht vorstellen.
Ein Zeuge, der den Flur des Kommissariats auf der Suche nach einer Toilette ablief, musterte ihn neugierig. Doch Steenhoff saß auf der Bank und blickte durch ihn hindurch.
Erst vor zwei Jahren war Willi an einem Herzinfarkt gestorben. Und nun Else. Dabei hatte sie sich gerade in ihrer neuen kleinen Wohnung eingerichtet und ihr Häuschen, eine Doppelhaushälfte in Hastedt, an eine alleinstehende Frau vermietet.
«Frank? Frank, bist du noch dran? Sag doch was.»
Iras besorgte Stimme riss Steenhoff aus seinen Gedanken. Das Handy lag neben ihm auf der Bank.
Benommen griff er danach. «Entschuldige, Ira. Ich musste deine Nachricht erst mal verdauen. Wo ist Else jetzt?»
«Sie ist noch in ihrer Wohnung. Ich dachte, du wolltest sie noch mal in ihrer gewohnten Umgebung sehen.» Sie machte eine kleine Pause. «Wenn du möchtest, können wir uns gleich dort treffen.»
Steenhoff zögerte. «Wir stehen gerade am Anfang einer wichtigen Mordermittlung …» Er brach mitten im Satz ab. Rüttger fiel ihm ein. «Nein, warte. Wir treffen uns in einer Stunde vor Elses Wohnung. Ich habe einen Schlüssel.»
Langsam erhob sich Steenhoff und ging auf sein Büro zu. Erst kurz davor bemerkte er Petersen, die in der Tür stand und ihn musterte.
«Ist etwas passiert?»
Sie machte Platz, damit er an ihr vorbeigehen konnte, und schloss hinter ihm die Tür.
«Ich habe gerade erfahren, dass die Frau, bei der ich als Kind aufwachsen durfte, heute Nacht gestorben ist.»
«Oh, Frank. Das tut mir leid!» Petersen wirkte ehrlich bestürzt und sah ihn mitfühlend an.
«Das tut weh. Eltern sind wie unsichtbare Halte- und Orientierungspunkte im Leben, selbst wenn man schon lange erwachsen ist.»
Petersen musste an ihren eigenen Vater denken, der vor einigen Jahren gestorben war.
«Else war nicht meine Mutter», stellte Steenhoff klar.
«Aber sie war für dich wie eine Mutter.»
Verwundert schaute Steenhoff sie an. «Das ist richtig. Aber wie kommst du darauf?»
Petersen zuckte mit den Achseln. «Ich habe gesehen, wie du zusammengesunken auf der Bank gesessen hast, und mir schon Sorgen gemacht.» Sie setzte sich auf ihren Stuhl und schaute ihn an. «Wer war Else?»
Als Steenhoff zu seinem Auto ging, war er gefasst. Es hatte gutgetan, Petersen von seiner Ziehmutter zu erzählen. Von ihrer herzlichen Art zu lachen, ihrem unerschütterlichen Optimismus und ihrer Angewohnheit, ihren «beiden Männern», wie sie Steenhoff und Willi nannte, kleine alberne Streiche zu spielen. Petersens ehrliches Interesse hatte ihn berührt, und er hatte ihr versprochen, demnächst ein Foto von Else und Willi mitzubringen.
Petersen sah, wie Steenhoffs Fahrzeug auf die Schranke zufuhr, und griff sich ihre Regenjacke und den Schlüsselbund von Maike Ahlers. Falls kein Auto frei war, würde sie eben mit ihrem Mountainbike nach Findorff fahren. Die frische Luft würde ihr guttun. Bis zu Steenhoffs Rückkehr könnte sie mit etwas Glück schon ein, zwei Zeugen aus dem Mietshaus von Maike Ahlers befragen. Doch Petersen hatte Pech. Es war niemand zu Hause. Sie warf eine Benachrichtigung in die Briefschlitze der beiden unteren Wohnungen, dass sich die Bewohner umgehend bei der Kripo wegen einer Zeugenvernehmung melden sollten. Dann ging sie in die erste Etage. Der Geruch im Treppenhaus erinnerte sie an die Osterfeuer an der Weser unweit ihrer eigenen Wohnung. Einmal hatten Vanessa und sie vergessen, am Ostersonnabend die Fenster in ihrem Haus zu schließen. Den ganzen folgenden Tag hatten sie lüften müssen, um den Geruch nach verbranntem Holz aus ihrem Wohnzimmer zu bekommen. Bei dem Gedanken an Vanessa wurde sie traurig. Seit drei Jahren waren sie nun schon ein Paar, aber in den vergangenen Wochen war ihre Freundin ihr oft ausgewichen und verschwand früh in ihrem eigenen Zimmer. Sobald Vanessa zurückkam, wollte sie mit ihr sprechen. Vielleicht machte sie sich völlig unnötig Gedanken.
Vor der versiegelten Wohnungstür blieb Petersen
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