Brandfährte (German Edition)
stehen. Sie überlegte kurz hineinzugehen. Aber sie hatte keine Schutzkleidung bei sich. Nach den Schilderungen von Steenhoff und Rüttger hatte das Feuer die Wohnung der jungen Frau regelrecht verwüstet. Sie nahm sich vor, den Tatort am nächsten Tag gemeinsam mit Tim Berger und Wessel anzuschauen. Petersen drehte sich um und klingelte an der gegenüberliegenden Wohnungstür. Aber auch Maike Ahlers’ direkter Nachbar war offenbar nicht zu Hause. Petersen notierte sich den Namen auf dem Klingelknopf: Detlef Wendler. Am späten Nachmittag oder am Abend würde sie alle Bewohner und den Hauseigentümer anrufen müssen. Sie wollte gerade wieder in die untere Etage gehen, als unten jemand die Eingangstür des Hauses aufschloss.
«Komm, Lotte. Nun trödel doch nicht so. Jetzt machen wir uns was zu essen, und dann ruhen wir uns erst mal aus. Lotte?» Petersen hörte es bellen. Der Hund mit seinen feinen Sinnen hatte sie schon gerochen. Als sie die Treppe hinunterging, stand ein molliges schwarzes Bündel vor der letzten Stufe und knurrte sie an. Seine Besitzerin, die die Klinke ihrer halb geöffneten Wohnungstür in der Hand hielt, schien in ganz ähnlicher Gemütsverfassung wie ihr Hund.
«Was treiben Sie sich hier im Treppenhaus herum?», fuhr sie die junge Frau an.
«Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich komme von der Kripo Bremen. Mein Name ist Navideh Petersen. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten.»
Blitzartig riss die alte Frau so heftig an der Leine des kleinen Hundes, dass das Tier jaulend in Richtung Wohnungstür flog. Mit einem lauten Knall schlug die Tür hinter den beiden zu. «Machen Sie, dass Sie verschwinden. Sonst rufe ich die Polizei!»
«Nicht nötig. Ich bin selbst Polizistin», antwortete Petersen ruhig und stellte sich in einem halben Meter Entfernung direkt vor den Spion in der Tür.
«So sieht keine Polizistin aus. Außerdem sind Sie Araberin und keine Deutsche. Sie können mich nicht für dumm verkaufen.» Petersen sah an sich hinunter. Mit ihrer regensicheren dunklen Fahrradkluft sah sie tatsächlich alles andere als vertrauenerweckend aus.
«Frau …», ihr Blick suchte das Klingelschild. «Frau Blanke, ich zeige Ihnen jetzt meinen Ausweis. Im Übrigen bin ich nicht Araberin, sondern im Iran geboren und lebe seit meiner Kindheit in Deutschland.»
«Ausweise kann man fälschen», keifte die Stimme hinter der Tür.
Langsam verlor Petersen die Geduld. «Frau Blanke, ich kann Sie auch vorladen. Dann müssen Sie eben heute Abend ins Polizeipräsidium in die Vahr kommen, nur um mir ein paar Fragen zu beantworten.»
Einen Moment blieb es still.
«Wenn Sie Polizistin sind, müssen Sie doch auch einen Revolver dabeihaben. Öffnen Sie mal Ihre Jacke», befahl die Frau. Kopfschüttelnd tat Petersen wie ihr geheißen. Dass ausgerechnet ihre Dienstpistole für Vertrauen sorgen sollte, hatte sie noch nie erlebt. Petersen öffnete ihre Jacke und drehte sich leicht zur Seite, sodass die Frau die Waffe durch das Guckloch sehen konnte. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür. Doch statt die Beamtin endlich hereinzubitten, machte Gerda Blanke einen Schritt in den Hausflur und musterte die junge Frau von oben bis unten.
«Darf ich Ihren Ausweis bitte noch mal sehen?»
Petersen stöhnte innerlich auf und fummelte erneut ihren Ausweis aus der Innentasche. Die Befragung würde schwierig werden.
«Bitte schön.»
Petersen sah, wie die alte Frau den Dienstausweis verkehrt herum hielt und ihn scheinbar aufmerksam studierte.
Petersen schätzte sie auf Mitte 70 . Da sie keine Lesebrille trug, hätte Petersen ihr genauso gut ihren Bibliotheksausweis hinhalten können.
Doch nach dem Prüfritual änderte sich die Stimmung schlagartig.
«Kommen Sie doch bitte herein, Frau …»
«Petersen», half ihr die Polizistin auf die Sprünge.
«Lotte, ruhig. Ruhig, sag ich. Mach, dass du in die Küche kommst.» Mit einem sanften Fußtritt schob Gerda Blanke ihren kleinen Hund in die Küche und machte hinter ihm die Tür zu. Dann führte sie die Besucherin in ein penibel aufgeräumtes Wohnzimmer. Eine aufgeschlagene Fernsehzeitschrift lag auf der gehäkelten Überdecke des Wohnzimmertisches.
«Soll ich uns schnell einen Kaffee kochen?» Während Petersen schon zwischen den ausgeleierten Sprungfedern eines alten dunkelgrünen Sofas versank, war Gerda Blanke im Zimmer stehen geblieben. Petersen wollte ablehnen, aber der hoffnungsvolle Unterton der alten Frau ließ sie sich anders
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