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Brandfährte (German Edition)

Brandfährte (German Edition)

Titel: Brandfährte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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zusammen.
    Sie sah ihn deprimiert an. «Ja. Das trifft es wohl ziemlich genau.»
    Petersen zerpflückte den Bierdeckel, den sie in der rechten Hand hielt.
    «Vanessa ist gestern ausgezogen. Angeblich nur vorübergehend. Um herauszufinden, was sie noch von mir will.»
    Ihre feingliedrigen Finger zerrissen den zweiten Bierdeckel. Dann ordnete sie die Schnipsel mechanisch zu einem Häufchen auf dem Tisch.
    «Das tut mir leid, Navideh. Sehr leid.» Er zögerte. «Wenn das hier vorbei ist, dann …» Die beiden wurden von Rüttger unterbrochen.
    «Das Opfer hieß Gabriela Senkers. Ihre Mutter lebt noch. Sie wohnt im Osten der Stadt, in Tenever.»
    «Das übernehme ich. Lasst uns heute Nachmittag wieder telefonieren.»
    Steenhoff stand schon an der Tür, als er sich noch mal umdrehte. «Danke, dass ihr beide hergekommen seid.»
    Rüttger lächelte verlegen. «Schon gut. Ich finde, diese ereignislose norddeutsche Flachlandschaft ist immer einen Ausflug wert. Hier ein Deich, dort ein krummer Zaun und als herbstlicher Höhepunkt des Jahres eine Kuh, die im Nebel steht.»
    Petersen schubste ihn nach draußen.
    «Du mit deiner Fixierung auf Weinberge und Winzerdörfer. Für Norddeutschland braucht man eben Seelentiefe und einen Schuss Melancholie. Komm, lass uns am Deich zurück zum Auto gehen.»
    «Weißt du, wie viele Kilometer Ödnis da vor uns liegen?»
    Petersen stöhnte auf. «Das ist höchstens eine halbe Stunde Weg. Du kannst ja aufs Taxi warten. Ich wette, ich bin noch vor dir am Auto.»
     
    Steenhoff stieg in seinen Wagen und wendete. Im Rückspiegel sah er, wie Petersen allein über die Deichkrone in Richtung Achim lief. Er hätte jetzt gerne den Spaziergang mit ihr gemeinsam gemacht. Und Rüttger schien es sich anders überlegt zu haben. Behäbig kämpfte er sich den Deich hinauf und rief seiner Kollegin etwas hinterher.
    Dann verdeckten ein paar alte, krummgewachsene Weiden am Straßenrand die Sicht auf seine Kollegen. Es fing an zu nieseln.
     
    Steenhoff versuchte, sich auf die Mutter der jung verstorbenen Frau einzustimmen. Aber es gelang ihm nicht. Alte Bilder drängten sich auf.
    Wie viele Mütter hatte er in seiner Laufbahn als Polizist schon vor sich gehabt, die nach dem Tod ihrer Kinder nur noch ein Schattendasein führten. Und wie oft hatte er sich vorgestellt, dass eines Tages jemand vor seiner Haustür stehen und ihn mit diesem furchtbaren Blick anschauen würde, einer Mischung aus Verlegenheit und tiefstem Mitgefühl. Ein Abschied von Ira würde ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, ihn in trostlose Jahre stürzen, aber er würde es überleben. Irgendwie. Doch ohne Marie gäbe es für ihn kein Morgen mehr. Dabei lebte sie bereits jetzt Zigtausende von Kilometern von ihm entfernt und war auf dem besten Weg, sich ganz zu verabschieden. Aber sie war am Leben. Neugierig und voller Energie. Und ihre E-Mails versprühten so viel Lebensfreude, dass er sie an manchen Tagen gleich mehrmals las.
    Als er auf den Klingelknopf des Hochhauses drückte, hatte er Marie aus seinen Gedanken verbannt. Er durfte die Fälle, die Tragödien der Menschen, mit denen er beruflich zu tun hatte, nicht in sein Leben hineinlassen.
    Steenhoff musste einige Male klingeln, bevor eine alte Stimme durch die Gegensprechanlage fragte: «Ja, bitte?»
    Er stellte sich kurz vor. Aber die Frau weigerte sich, ihn hineinzulassen. Steenhoff stieß einen stummen Fluch aus. Das war die Schattenseite ihrer Presse- und Präventionsarbeit. Keine Woche verging, in der nicht die unterschiedlichsten Kommissariate in den Medien vor Betrügern an der Haustür warnten. Das Fazit in den Artikeln war stets das gleiche: Keine Fremden in die Wohnung lassen.
    Steenhoff zwang sich, ruhig zu bleiben. Er beugte sich zur Sprechanlage und sagte freundlich: «Frau Senkers, ich habe nur zwei, drei Fragen an Sie. Wenn es Ihnen lieber ist, können wir das kurze Gespräch auch im Hausflur führen, oder Sie bitten einen Nachbarn hinzu.»
    Einen Augenblick lang blieb es still.
    Dann hörte Steenhoff ein asthmatisches Husten. Statt einer Antwort summte der Türöffner. Während er hineinging, hörte er die Stimme mühsam sagen, dass er mit dem Fahrstuhl in den zehnten Stock fahren müsse.
    Der Innenraum der Fahrstuhlkabine roch streng. Die Tastatur war zerkratzt und die Wände mit Graffitis übersät. Wie so oft in seinem Job, der ihn immer wieder in ganz andere Lebenswelten führte, fragte sich Steenhoff, wie Menschen so leben konnten, ohne niedergeschlagen zu sein,

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