Brandherd
frei herumläuft und Leute umbringt. Sie werden ein Problem haben, wenn ich am Ende herausfinde, dass Sie über Informationen verfügen, die geholfen hätten, auch nur ein einziges Menschenleben zu retten.«
Sie bedachte mich mit einem kalten, arroganten Blick, denn ihre einzige Macht im Leben bestand darin, Gescheiterte zu verteidigen und Menschen wie mich zu schikanieren.
»Lassen Sie mich Ihr Gedächtnis ein wenig auffrischen«, fuhr ich fort. »Seit Ihre Klientin aus Kirby ausgebrochen ist, hat sie im Abstand von wenigen Tagen vermutlich bereits Morde begangen oder war als Komplizin daran beteiligt. Bösartige Morde, die durch Brandstiftung vertuscht werden sollten. Ihnen voran gingen andere solche Morde, die, wie wir mittlerweile glauben, damit in Verbindung stehen, wobei sich Ihre Klientin zum Zeitpunkt dieser früheren Fälle noch hier in Haft befand.«
Susan Blaustein starrte mich schweigend an.
»Können Sie mir in dieser Sache weiterhelfen?«
»Alle meine Gespräche mit Carrie unterliegen der Schweigepflicht. Das werden Sie doch wohl wissen«, entgegnete sie daraufhin, doch ich merkte ihr an, dass sie neugierig war.
»Ist es möglich, dass sie Verbindung nach draußen hatte?«, fuhr ich fort. »Und wenn, wie und mit wem?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Hat sie je von Temple Gault gesprochen?«
»Das ist vertraulich.«
»Dann hat sie es also getan«, sagte ich. »Selbstverständlich. Wie denn auch nicht? Wissen Sie, dass sie mir einen Brief geschrieben hat, Miss Blaustein, worin sie mich auffordert, sie zu besuchen und ihr Fotos von Gaults Autopsie mitzubringen?«
Sie antwortete nicht, doch ihr Blick wurde lebendig.
»Er ist in der Bowery von einem Zug mitgerissen worden. Lag über die Gleise verstreut.«
»Haben Sie seine Autopsie durchgeführt?« »Nein.«
»Weshalb sollte Carrie dann Sie um die Fotos bitten, Dr. Scarpetta?«
»Weil sie wusste, dass ich sie besorgen konnte. Carrie wollte sie sehen, blutige Leichenteile und alles. Das war in der Woche vor ihrem Ausbruch. Ich frage mich nur, ob Sie wussten, dass sie solche Briefe herumgeschickt hat? Aus meiner Sicht ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sie alles, was sie kurz darauf getan hat, bereits sorgfältig geplant hatte.«
»Nein.«
Blaustein zeigte mit dem Finger auf mich.
»Was sie beschäftigt hat, war der Gedanke, wie sie geleimt worden ist, weil das vernagelte FBI kein vorzeigbares Ergebnis zustande gebracht hat und die Morde unbedingt jemandem anhängen musste«, sagte sie anklagend.
»Ich sehe, Sie lesen Zeitung.«
Ihre Miene wurde wütend.
»Ich habe fünf Jahre lang mit Carrie gesprochen«, sagte sie. »Es war ja wohl nicht sie, die mit dem Bureau geschlafen hat, oder?«
»In gewisser Weise ja.« Ich dachte an Lucy. »Und ehrlich gesagt, Miss Blaustein, ich bin nicht hier, um Sie dazu zu bewegen, Ihre Meinung über Ihre Klientin zu ändern. Mein Ziel ist es, eine Reihe von Mordfällen aufzuklären und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um weitere zu verhindern.«
Carries Pflichtverteidigerin begann wieder, in ihren Papieren zu wühlen.
»Ich habe den Eindruck, dass Carrie deshalb so lang e hier geblieben ist, weil Sie jedes Mal, wenn ein Gutachten über ihre geistige Verfassung anstand, dargelegt haben, dass sie noch nicht wieder zurechnungsfähig sei«, fuhr ich fort. »Mit anderen Worten: Sie war auch nicht prozessfähig, nicht wahr? Mit anderen Worten: Sie war in einem Maße geistesgestört, dass sie sich nicht einmal klarzumachen vermochte, wessen man sie beschuldigte. Und doch muss sie sich ja wohl ihrer Situation irgendwie bewusst gewesen sein, oder wie hätte, sie sich sonst diese ganze Geschichte, dass das FBI sie geleimt habe, aus den Fingern saugen können? Oder haben Sie sich das aus den Fingern gesogen?«
»Das Gespräch ist beendet«, verkündete Blaustein, und wenn sie Richterin gewesen wäre, hätte sie den Hammer niedersausen lassen.
»Carrie ist nichts weiter als eine Simulantin«, sagte ich. »Sie hat Theater gespielt, manipuliert. Lassen Sie mich mal raten. Sie war zutiefst deprimiert, konnte sich nicht im Geringsten an irgendetwas erinnern, das von Bedeutung war. Sie war wahrscheinlich auf Ativan gesetzt, was sie ebenso wahrscheinlich nicht sonderlich behindert hat. Sie hatte erwiesenermaßen die Energie, Briefe zu schreiben. Und was mag sie wohl sonst noch für Privilegien genossen haben? Telefonieren, fotokopieren?«
»Die Patienten haben bürgerliche Rechte«, sagte Blaustein gelassen. »Sie
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