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Brandherd

Brandherd

Titel: Brandherd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Ich verstummte und las weitere alte Briefe. »Und nun sind wir hier.«
    »Wir sind hier, weil sie es will«, sagte Lucy. »Wir sollten das alles finden.«
    Sie schlug hart auf die Taste.
    »Begreifst du denn nicht?«
    Sie drehte sich um und sah mich an.
    »Sie hat uns hierhin gelockt, damit wir das alles sehen«, sagte sie.
    Der Bolzenschneider schnappte auf einmal laut durch Stahl, und die Gefrierschranktür öffnete sich mit einem saugenden Geräusch.
    »Herrgott im Himmel noch mal, Scheiße«, brüllte Marino.
    »Verdammte Scheiße!«

23
     
    Auf dem obersten Gitterrost standen zwei kahle Modepuppenköpfe, einer männlich, einer weiblich, deren ausdruckslose Gesichter mit gefrorenem Blut geschwärzt waren. Sie hatten den Gesichtern, die Joyce seinen Opfern gestohlen hatte, als Formen gedient. Er hatte sie über die Mannequingesichter gelegt und dann hartfrieren lassen, um seinen Trophäen Gestalt zu verleihen. Joyce hatte jedes seiner maskenartigen Horrorstücke in eine dreifache Schicht aus Gefrierbeuteln gepackt, die wie Beweismittel etikettiert waren: Fallnummern, Orts- und Zeitangaben. Das jüngste Schildchen war zuoberst, und mechanisch hob ich es an. Mein Herz schlug einen Augenblick so hart, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich begann zu schwanken und nahm nichts mehr wahr, bis ich in McGoverns Armen landete. Sie führte mich zu dem Stuhl am Schreibtisch, auf dem Lucy zuvor gesessen hatte.
    »Kann ihr mal jemand ein Glas Wasser bringen?«, sagte McGovern. »Ist ja gut, Kay, ist ja gut.«
    Ich richtete den Blick auf den Gefrierschrank mit seiner weit geöffneten Tür und den Stapeln von Plastikbeuteln, die ihren menschlichen Inhalt erahnen ließen. Marino tigerte in der Garage auf und ab und raufte sich das schüttere Haar. Die Farbe seines Gesichts schien einen Schlaganfall anzukündigen, und Lucy war verschwunden.
    »Wo ist Lucy?«, fragte ich mit trockenem Mund.
    »Sie holt den Erste-Hilfe-Koffer«, sagte McGovern mit sanfter Stimme. »Bleiben Sie einfach nur ruhig sitzen, versuchen Sie, sich zu entspannen, und dann schaffen wir Sie hier raus. Sie brauchen das nicht alles zu sehen.«
    Es war jedoch bereits geschehen. Ich hatte das leere Gesicht gesehen, den verunstalteten Mund und die Nase, die keinen Rücken mehr hatte. Ich hatte die orangefarbene Haut gesehen, auf der Eiskristalle glitzerten. Das Datum auf dem Etikett des Gefrierbeutels war der 17. Juni, der Ort Philadelphia, und das war mir ins Hirn gedrungen, während ich gleichzeitig hinsah, und dann war es zu spät gewesen, oder vielleicht hätte ich ja sowieso hingesehen, weil ich Bescheid wissen musste.
    »Sie sind hier gewesen«, sagte ich.
    Ich erhob mich mühsam, und mir wurde wieder schwindlig.
    »Sie sind lange genug hier gewesen, um das zu hinterlassen. Damit wir es finden«, sagte ich.
    »Verdammter Scheißkerl!«, schrie Marino.
    »GOTTVERFLUCHTES SCHWEIN VON EINEM DRECKIGEN SCHEISSKERL!«
    Er rieb sich die Augen mit den Fäusten, während er weiter wie ein Rasender auf und ab lief. Lucy kam die Stufen herunter. Sie war blass, ihr Blick glasig. Meine Nichte schien in Trance.
    »McGovern an Correll«, sagte McGovern in ihr tragbares Funkgerät.
    »Correll«, antwortete deren Stimme.
    »Ihr könnt jetzt anrücken.«
    »Verstanden.«
    »Ich rufe unsere Spurensicherung«, sagte Detective Scroggins. Auch er war wie vor den Kopf geschlagen, aber nicht auf dieselbe Weise wie wir. Für ihn war das hier nichts Persönliches. Er hatte noch nie von Benton Wesley gehört. Scroggins sah sorgfältig die Beutel im Gefrierschrank durch, und seine Lippen bewegten sich, al s er zählte.
    »Großer Gott«, sagte er fassungslos. »Hier liegen siebenundzwanzig von den Dingern.«
    »Zeit- und Ortsangabe?«, sagte ich und mobilisierte meine ganzen Kräfte, um zu ihm hinüberzugehen. Wir sahen uns das Innere des Gefrierschranks gemeinsam an.
    »London 1981. Liverpool 1983. Dublin 1984. Und dann - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf. Insgesamt elf aus Irland, das ganze Jahr 1987 hindurch. Sieht so aus, als hätte er da richtig losgelegt«, sagte Scroggins, der immer mehr aufdrehte, so wie man es von Menschen kennt, die dabei sind, hysterisch zu werden. Wir machten weiter, und die Tatorte von Joyce' Morden begannen mit Belfast in Nordirland und setzten sich dann in der Republik mit neun Morden in Dublin und benachbarten Orten wie Ballboden, Santry und Howth fort. Dazu kam noch ein Mord in Galway. Dann hatte Joyce seinen Raubzug in

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