Brandherd
Schwimmer rannten aus dem Wasser; stolpernd und stürzend, mit den Armen rudernd, kämpften sie sich durch die Wellen, als wäre der weiße Hai hinter ihnen her. Trümmer schaukelten auf der Dünung. Leuchtend orangefarbene Schwimmwesten tanzten auf und ab, doch es steckte niemand drin.
EINE WOCHE SPÄTER, HILTON HEAD ISLAND
Der Morgen war bedeckt, der Himmel so grau wie die See, als die wenigen Menschen, die Benton Wesley geliebt hatten, sich an einer freien, noch unerschlossenen Stelle der Siedlung Sea Pines versammelten.
Wir parkten in der Nähe von Wohnanlagen und folgten einem Pfad, der zu einer Düne führte. Von dort aus stapften wir durch Schuppenmiere und Strandhafer. Der Strand war hier schmaler, der Sand weniger fest, und Treibholz erinnerte an die vielen Stürme.
Marino trug einen Nadelstreifenanzug, den er bereits durchzuschwitzen begann, und ein weißes Hemd mit dunkler Krawatte. Ich dachte, dass ich ihn wohl noch nie zuvor so gepflegt gekleidet gesehen hatte. Lucy war in Schwarz, doch ich wusste, dass ich sie erst später sehen würde, weil sie etwas sehr Wichtiges zu erledigen hatte.
McGovern war gekommen und Kenneth Sparkes ebenfalls, nicht weil sie ihn gekannt hätten, sondern weil sie mir mit ihrer Anwesenheit ein Geschenk machen wollten. Connie, Bentons frühere Frau, und ihre drei erwachsenen Töchter standen dicht beieinander in der Nähe des Wassers, und es war ein merkwürdiges Gefühl, sie jetzt anzusehen und nichts als Kummer zu empfinden. Wir hatten keinen Groll, keine Feindseligkeit oder Angst in uns zurückbehalten. Der Tod hatte das alles ebenso gründlich ausgelöscht, wie das Leben es angefacht hatte. Andere waren gekommen, Männer aus Bentons glanzvoller Vergangenheit, pensionierte Beamte und der ehemalige Direktor der FBI Academy, derjenige, der vor vielen Jahren an Bentons Gefängnisbesuche und sein e Forschungsarbeit auf dem Gebiet des Profiling geglaubt hatte. Bentons Erkenntnisse waren mittlerweile ein alter Hut, entwertet durch Fernsehen und Kino, doch einst waren sie ein Novum gewesen. Benton war einmal ein Pionier gewesen, derjenige, der einen Weg zum besseren Verständnis von Menschen entwickelt hatte, die psychotisch oder gewissenlos und bösartig waren.
Ein Vertreter der Kirche war nicht gekommen, denn Benton hatte, seit ich ihn kannte, keine Kirche mehr von innen gesehen. Nur ein presbyterianischer Kaplan war da, bei dem sich unglückliche FBI-Beamte Trost und Rat holen konnten. Er hieß Judson Lloyd und war ein zerbrechlicher alter Mann, der gerade noch einen schwachen Kranz weißer Haare hatte. Reverend Lloyd trug einen Priesterkragen und hielt eine kleine, in schwarzes Leder gebundene Bibel in der Hand. Alles in allem waren es nicht einmal zwanzig Menschen, die sich an der Küste versammelt hatten.
Es gab weder Musik noch Blumen, keine Nachrufe oder Trauerreden, denn Benton hatte in seinem Testament unmissverständlich festgelegt, was zu geschehen hatte. Die Verantwortung für seine sterblichen Überreste hatte er mir überlassen: Darauf verstehst du dich so gut, Kay. Ich weiß, dass meine Wünsche bei dir in bester Obhut sind.
Er hatte keine Trauerfeier haben wollen. Kein Begräbnis mit militärischen Ehren, auf das er Anspruch hatte, keine vorwegfahrenden Polizeiwagen, keine Salutschüsse und keinen von der Flagge bedeckten Sarg. Sein schlichter Wunsch war gewesen, eingeäschert zu werden, und dass man seine Asche an jenem Ort verstreuen sollte, der ihm der liebste war, das zivilisierte Land unserer unerfüllten Wünsche von Hilton Head, wohin wir uns gemeinsam von der Welt zurückgezogen und für den flüchtigen Augenblick eines Traums vergessen hatten, wogegen wi r kämpften.
Es würde mir ewig wehtun, dass er seine letzten Tage hier ohne mich verbracht hatte, und ich würde niemals über die grausame Ironie hinwegkommen, dass ich durch den blutigen Schlachtplan aufgehalten worden war, den Carrie ausgebrütet hatte. Er war der Anfang vom Ende gewesen, das Bentons Ende werden sollte. Es hätte nahe gelegen, mir zu wünschen, dass ich niemals in diesen Fall verwickelt worden wäre. Doch wenn nicht ich, würde jetzt jemand anders irgendwo auf der Welt an einem Begräbnis teilnehmen, wie andere es in der Vergangenheit getan hatten, und der Gewalt wäre kein Ende gesetzt worden. Ein leichter Regen setzte ein. Er berührte mein Gesicht wie kühle, traurige Hände.
»Benton hat uns an diesem Tag hier zusammengeführt, nicht um Auf Wiedersehen zu sagen«, begann
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