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Brandherd

Brandherd

Titel: Brandherd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hinzuzulernen. Er schreibt seine Berichte immer noch auf der mechanischen Schreibmaschine, mit höher gesetzten Großbuchstaben und allem Drum und Dran. Und der Grund, weshalb ich das Gemeindeessen erwähnt habe, war, dass ich eigentlich in zehn Minuten dort sein muss.«
    Sie schwieg und betrachtete mich über ihre Lesebrille hinweg.
    »Ich kann aber auch hier bleiben, falls Sie das möchten«, setzte sie hinzu.
    »Ich habe noch ein paar Sachen zu erledigen«, teilte ich ihr mit.
    »Und das Letzte, was mir in den Sinn käme, wäre, einem kirchlichen Abendessen im Weg zu stehen. Ob nun Ihres oder sonst eins. Ich hab sowieso genug Ärger mit dem lieben Gott.«
    »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Abend«, sagte Rose. »Die Diktate sind in Ihrem Korb. Bis morgen dann.«
    Nachdem ihre Schritte auf dem Flur verhallt waren, war ich von Stille umgeben. Das einzige Geräusch war das Geraschel der Papiere auf meinem Schreibtisch. Mehrmals dachte ich an Benton, schob den Wunsch, ihn anzurufen, jedoch beiseite, weil ich noch nicht bereit war, mich zu entspannen, oder weil ich mir jetzt noch keine menschlichen Regungen gestatten wollte. Es ist schließlich nicht ganz einfach, sich wie ein normaler Mensch zu fühlen mit normalen Empfindungen, wenn man vor der Aufgabe steht, menschliche Überreste in einem Gefäß zu kochen, das eigentlich ein großer Suppentopf ist. Ein paar Minuten nach sieben ging ich den Flur hinunter zum Aufbewahrungsraum für Leichenteile, kurz Leichenraum genannt, der zwei Türen vom Kühlraum entfernt auf der anderen Flurseite lag. Ich schloss die Tür auf und betrat letztlich einen kleinen Autopsiesaal mit einer Kühlkammer und einer speziellen Entlüftungsanlage. Die Überreste der Leiche lagen auf einem mit Rollen versehenen Tisch und waren mit einem Tuch bedeckt. Der neue Vierzig-Liter-Topf war mit Wasser gefüllt und stand auf einem Elektrokocher unter einer chemisch imprägnierten Abzugshaube. Ich band mir die Maske vor, zog Handschuhe an und drehte den Kocher auf niedrige Hitze, damit die Knochen nicht noch mehr beschädigt würden. Ich schüttete zwei Messlöffel Waschmittel und eine Tasse Bleichmittellösung hinein, um die Ablösung von Bindegewebsfasern, Knorpeln und Fett zu beschleunigen. Ich schlug das Tuch zurück und enthüllte Knochen, deren umgebendes Gewebe fast gänzlich entfernt worden war, die Extremitäten aufs Trostloseste gestutzt wie verbrannte Stöcke. Behutsam legte ich Oberschenkel und Schienbeine in den Topf, dann die Beckenknochen und Schädelteile. Wirbelsäule und Rippen folgten, während das Wasser heißer wurde und ein schar f riechender Dampf aufzusteigen begann. Ich musste ihre nackten, sauberen Knochen sehen, weil sie mir eventuell etwas verraten würden, und es gab einfach keinen anderen Weg, an sie heranzukommen.
    Eine Weile saß ich in dem Raum, und die Abzugshaube sog geräuschvoll Luft ein, während ich in meinem Sessel vor mich hin döste. Ich war müde. Ich war emotional ausgewrungen und fühlte mich ungeheuer allein. Das Wasser wurde heiß, und das, was von einer Frau übrig geblieben war, von der ich glaubte, sie sei ermordet worden, begann, in dem Suppentopf zu garen, der der Person, die sie gewesen war, nur noch eine weitere gefühllose Kränkung und Demütigung zuzufügen schien.
    »Mein Gott«, stöhnte ich, als hätte Gott mich womöglich doch hören können, »segne sie, wer immer sie sein mag.«
    Es fiel schwer, sich vorzustellen, man selbst wäre auf ein paar Knochen reduziert, die in einem Topf kochen, und je mehr ich darüber nachdachte, desto depressiver wurde ich. Irgendwo hatte irgendjemand diese Frau geliebt, und sie musste in ihrem Leben irgendwas bewegt haben, ehe man sie auf so grausame Weise um ihren Körper und ihre Identität gebracht hatte. Ich hatte mich fast mein ganzes Leben gegen Hassgefühle gewehrt, doch mittlerweile hatte ich die Waffen gestreckt. Es stimmte, ich hasste sadistische, bösartige Menschen, deren Lebenszweck darin bestand, fremdes Leben zu foltern und an sich zu reißen, als hätten sie ein Anrecht darauf. Es stimmte zwar, dass Hinrichtungen mir sehr nahe gingen, aber nur deshalb, weil sie herzlose Verbrechen und ihre Opfer wieder auferstehen ließen, die die Gesellschaft schon fast vergessen hatte.
    Dampf stieg auf in heißen, feuchten Schwaden und schwängerte die Luft mit einem Ekel erregenden Gestank, der geringer werden würde in dem Maße, wie de r Garungsprozess voranschritt.
    Ich stellte mir ein überschlankes,

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