Brandherd
großes, blondes Wesen vor, ein Mädchen, das Jeans und Schnürstiefel trug und in der Gesäßtasche einen Platinring stecken hatte. Ihre Hände waren nicht mehr da, und vermutlich würde ich niemals herausfinden, ob der Ring an einen ihrer Finger gepasst hatte, doch wahrscheinlich war das nicht. Fielding hatte wohl Recht, und ich hatte eine weitere Frage an Sparkes zu richten.
Ich dachte an ihre Wunden und versuchte zu rekonstruieren, wie sie dazu gekommen sein mochte und warum ihre vollständig bekleidete Leiche in dem Badezimmer gelegen hatte. Dieser Ort war, wenn wir damit richtig lagen, überraschend und seltsam. Ihre Jeans war nicht geöffnet gewesen, denn als ich den Reißverschluss entdeckt hatte, war er zugezogen, und mit Sicherheit war ihr Gesäß bekleidet gewesen. Ausgehend von dem synthetischen Gewebe, das mit ihrer Haut verschmolzen war, hatte ich auch keinen Grund anzunehmen, dass ihre Brüste entblößt gewesen wären. Nicht dass irgendeiner dieser Befunde eine sexuell motivierte Tat ausgeschlossen hätte. Doch gewiss sprachen sie gegen eine solche. Ich überprüfte durch einen Dampfschleier hindurch gerade den Zustand der Knochen, als das Telefon läutete. Ich fuhr zusammen, und mein erster Gedanke war, dass ein Bestattungsinstitut vielleicht eine Leiche einliefern wollte, doch dann ging mir auf, dass das blinkende Lämpchen eine der Leitungen zum Autopsiesaal war. Ich musste unwillkürlich daran denken, was Ruffin von den gespenstischen Anrufen am frühen Morgen gesagt hatte, und erwartete schon halb, dass am anderen Ende der Leitung Schweigen herrschen würde.
»Ja«, sagte ich unwirsch.
»Oje, wer hat Ihnen denn in die Suppe gespuckt?« , antwortete Marino.
»Ach so«, sagte ich erleichtert. »Entschuldigung, ich dachte, das wäre einer von diesen komischen Anrufen.«
»Was meinen Sie denn mit komischen Anrufen?«
»Später«, sagte ich. »Was gibt's?«
»Ich hocke hier auf Ihrem Parkplatz und hatte eigentlich die Hoffnung, Sie würden mich reinlassen.«
»Bin gleich unten.«
Ich war sogar hocherfreut, Gesellschaft zu bekommen. Ich lief zur Tiefgarage und drückte einen Knopf an der Wand. Die riesige Tür begann sich summend zu heben, und Marino tauchte darunter hindurch. Die dunkle Nacht zerfloss im Licht der Natriumdampflampen. Ich stellte fest, dass der Himmel voller Wolken war, die Regen verhießen.
»Was machen Sie denn hier noch so spät?«, fragte Marino auf seine übliche unwirsche Art und zog an seiner Zigarette.
»Mein Büro ist Nichtraucherzone«, erinnerte ich ihn.
»Als ob sich in dieser Bude noch irgendjemand über passives Rauchen Sorgen machen müsste.«
»Ein paar von uns atmen noch«, sagte ich.
Er schnippte die Zigarette auf den Zementboden und zermalmte sie gereizt mit dem Fuß, als hätten wir dies nicht schon hundert Mal durchgespielt, ja, als wäre es heute das allererste Mal. In Wirklichkeit war das eine unserer Standardnummern, die auf ihre verquere Art und Weise unsere enge Verbindung bekräftigten. Ich war mir völlig sicher, dass es Marinos Gefühle verletzt hätte, wenn ich ihm nicht ständig wegen irgendetwas in den Ohren gelegen hätte.
»Sie können mir in den Leichenraum folgen«, sagte ic h zu ihm, »ich bin da nämlich gerade beschäftigt.«
»Wenn ich das gewusst hätte«, murrte er, »hätte ich das Ganze telefonisch erledigt.«
»Keine Sorge. So schlimm ist es gar nicht. Ich säubere bloß ein paar Knochen.«
»Mag sein, dass so was für Sie nicht schlimm ist«, sagte er, »aber ich habe mich nie an den Geruch von gekochten Menschen gewöhnen können.«
Wir betraten den Leichenraum, und ich reichte ihm eine OP-Maske. Ich überprüfte den Kochvorgang und schaltete die Hitze herunter, um zu vermeiden, dass das Wasser zu brodeln anfing und die Knochen gegeneinander und an die Wände des Kochtopfs schlugen. Marino drückte die Maske zusammen, sodass sie über Nase und Mund passte, und band sich am Hinterkopf eine lockere Schleife. Er erspähte eine Schachtel mit Einmalhandschuhen, griff sich ein Paar und zog sie über. Es war schon blanke Ironie, dass er besessen war von der Sorge, dass äußere Einflüsse seiner Gesundheit schaden könnten, während die größte Gefahr in Wahrheit von seiner Lebensweise ausging. Er schwitzte in seinen Khakihosen und einem weißen Hemd mit Krawatte vor sich hin und war offenbar irgendwann im Laufe des Tages einem Angriff mit Ketchup ausgeliefert gewesen.
»Ich habe ein paar interessante Dinge für Sie, Doc«,
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