Brandherd
Geschworenen und wedelte ihnen mit dem fotokopierten Artikel vor der Nase herum.
»Euer Ehren, ich bitte Sie!«, rief der Staatsanwalt, der bereits sein Jackett durchgeschwitzt hatte.
»Mr. Lampkin, bitten fahren Sie mit Ihrem Kreuzverhör fort«, sagte Richter Bowles zu dem übergewichtigen, dickhalsigen Lampkin.
Was ich über Entfernungen und Schussbahnen und die lebenswichtigen Organe, die durch Zehn-MillimeterProjektile getroffen worden waren, sagte, blieb für mich im Nebel. Ich konnte mich kaum an ein Wort meiner Aussage erinnern, nachdem ich die Treppen des Gerichtsgebäudes hinabgeeilt und, ohne aufzublicken, ins Freie gehastet war. Zwei hartnäckige Reporter folgten mir noch einen halben Block, gaben jedoch auf, als sie merkten, dass sie bei mir auf Granit bissen. Die Perfidie dessen, was mir soeben im Zeugenstand widerfahren war, ließ sich nicht in Worte fassen. Carrie hatte lediglich eine einzige kleine Breitseite abfeuern müssen, und ich war bereits verwundet. Ich wusste, es würde kein Ende nehmen.
Als ich die Hintertür zu meinem Gebäude aufschloss und aus dem gleißenden Sonnenlicht in die kühle, schattige Tiefgarage trat, war ich im ersten Augenblick fast blind. Ich öffnete die Tür, die ins Innere des Hauses führte, und war erleichtert, Fielding auf dem Flur auf mich zukommen zu sehen. Er trug einen frischen OP-Anzug, und ich vermutete, dass ein weiterer Fall hereingekommen war.
»Alles unter Kontrolle?«, fragte ich, während ich meine Sonnenbrille in die Handtasche steckte.
»Ein Selbstmord aus Powhatan. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das sich in den Kopf geschossen hat. Sieht s o aus, als hätte ihr Daddy ihr den Umgang mit ihrem Nichtsnutz von Freund verbieten wollen. Sie sehen schrecklich aus, Kay.«
»Was kann man nach einem Haifischangriff anderes erwarten?«
»Es ist zum Kotzen. Gottverfluchte Anwälte. Wer war es denn diesmal?«
Er schien innerlich die Ärmel hochzukrempeln.
»Lampkin.«
»Ach je, der Schleimscheißer!« Fielding drückte meine Schulter.
»Das wird schon wieder. Glauben Sie mir. Ganz bestimmt. Am besten, Sie ignorieren das Ganze und machen einfach weiter.«
»Ich weiß.« Ich lächelte ihm zu. »Ich bin im Leichenraum, falls Sie mich suchen.«
Das einsame Geschäft geduldigen Arbeitens an Gebeinen war eine willkommene Erlösung, denn ich wollte nicht, dass meine Mitarbeiter meine Niedergeschlagenheit und Angst bemerkten. Ich knipste die Lampen an und schloss die Tür hinter mir. Ich zog mir einen Kittel und zwei Paar Latexhandschuhe über, schaltete den Elektrokocher ein und nahm den Topfdeckel ab. Der Garprozess war, seit ich die Knochen gestern Nacht verlassen hatte, weiter fortgeschritten, und ich prüfte ihren Zustand, indem ich mit einem Holzlöffel draufdrückte. Dann breitete ich ein plastikbeschichtetes Tuch über einem Tisch aus. Der Schädel war während der Autopsie zersägt worden, und behutsam hob ich nun das tropfende Schädeldach und die Gesichtsknochen mit den kalzinierten Zähnen aus dem lauwarmen, fettigen Wasser. Ich zog hölzerne Spatel Kunststoffspateln vor, um Gewebe von Knochen zu kratzen. Metallinstrumente kamen nich t in Frage, weil sie Schäden anrichten konnten, die uns hindern würden, echte Spuren von Gewaltanwendung zu finden. Ich arbeitete sehr sorgfältig, löste und entfernte Fleisch, während die anderen Skelettreste still in ihrem dampfenden Topf vor sich hin köchelten. Zwei Stunden lang säuberte und wässerte ich, bis mir Handgelenke und Finger schmerzten. Ich ließ das Mittagessen ausfallen, ich hatte nicht einmal daran gedacht. Es war beinahe zwei Uhr, als ich eine Kerbe unterhalb der Schläfenregion fand, wo ich den Bluterguss entdeckt hatte. Ich hielt inne und starrte ungläubig. Ich zog die OP-Lampen näher heran und tauchte den Tisch in gleißendes Licht. Der Einschnitt im Knochen war sauber und verlief linear; er war nicht mehr als etwa dreieinhalb Zentimeter lang und so flach, dass man ihn leicht hätte übersehen können. Das einzige Mal, dass ich eine ähnliche Verletzung gesehen hatte, war an den Schädeln von Menschen aus dem 19. Jahrhundert, die skalpiert worden waren. In solchen Fällen waren die Kerben oder Schnitte im Allgemeinen nicht am Schläfenbein zu finden gewesen, doch das musste nichts heißen.
Skalpieren war keine exakte chirurgische Prozedur, und alles war möglich. Obwohl ich keinen Beweis dafür gefunden hatte, dass dem Warrenton-Opfer Teile der Kopfhaut und des Haars fehlten, konnte ich
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