Brandherd
hinter meinem Dienstgebäude hielt. Bliley' s Beerdigungsunternehmen lud gerade eine Leiche ins Heck eines blank polierten, schwarzen Leichenwagens, wie es dem unaufhörlichen Rhythmus von Anliefern und Abholen entsprach.
»Schönes Wetter heute«, sagte ich zu dem Angestellten des Bestattungsunternehmens in seinem gepflegten, dunklen Anzug.
»Gut, und wie geht's Ihnen«, lautete die Antwort eines Mannes, der schon lange nicht mehr zuhörte.
Ein zweiter korrekt gekleideter Mann stieg aus, um mit anzufassen, und dann klackten die Beine der Bahre, und die Hecktür wurde zugeschlagen. Ich wartete, bis sie wegfuhren, und ließ das große Tor hinter ihnen runter.
Mein erster Weg war in Fieldings Büro. Es war noch nicht ganz Viertel nach acht.
»Hallo, wie geht's?«, fragte ich, als ich an die offene Tür klopfte.
»Kommen Sie rein«, sagte er.
Er sah gerade die Bücher auf seinen Regalbrettern durch, und sein Laborkittel spannte um die kräftigen Schultern. Mein Stellvertreter hatte kein leichtes Leben, denn selten nur fand er Kleidung, die ihm nicht entweder zu weit oder zu kurz war, da er praktisch weder Bauch noch Hüften besaß. Ich erinnere mich noch an unser erstes Kollegenpicknick in meinem Haus, als er, lediglich mit abgeschnittenen Jeans bekleidet, in der Sonne gelege n hatte. Ich war verblüfft und gleichzeitig peinlich berührt, dass ich kaum meinen Blick von ihm abwenden konnte. Nicht dass er in mir irgendwie den Wunsch geweckt hätte, mit ihm ins Bett zu gehen, mich hatte vielmehr seine rohe physische Schönheit gefangen genommen, vorübergehend. Ich konnte einfach nicht fassen, dass jemand die Zeit fand, körperlich so auszusehen.
»Ich nehme an, Sie haben die Zeitung gelesen«, sagte er.
»Den Brief«, sagte ich, und meine Stimmung sank.
»Ja.«
Er zog ein veraltetes rechtsmedizinisches Handbuch heraus und legte es auf den Boden.
»Titelseite mit einem Foto von Ihnen und ein altes Fahndungsfoto von ihr. Tut mir Leid, dass Sie sich mit einer solchen Scheiße herumschlagen müssen«, sagte er und suchte unterdessen weiter nach anderen Büchern. »Die Telefone vorn im Büro klingeln ununterbrochen.«
»Was liegt denn heute Morgen an?« Ich wechselte das Thema.
»Ein Unfall gestern Nacht auf dem Midlothian Turnpike, Fahrer und Beifahrer tot. Es gibt Aufnahmen vom Unfallort, und DeMaio hat sie bereits in Arbeit. Nichts weiter.«
»Das reicht auch«, sagte ich. »Ich habe einen Verhandlungstermin.«
»Ich dachte, Sie hätten Urlaub.«
»Dachte ich auch.«
»Mal im Ernst. Der hat doch noch gar nicht richtig begonnen, wie? Hätten Sie deshalb von Hilton Head herkommen müssen?«
»Richter Bowls.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Fielding angewidert. »Wie of t hat er das jetzt schon mit Ihnen gemacht? Ich glaube, der wartet extra Ihre dienstfreien Tage ab, damit er Ihnen einen Gerichtstermin reinknallen und Ihnen alles vermasseln kann. Und dann? Sie überschlagen sich, um Ihre Aussage zu machen, und dann hält er Sie hier mit dem Fall so lange wie möglich fest.«
»Sie können mich anpiepen«, sagte ich.
»Und Sie dürfen raten, was ich tun werde.«
Er zeigte auf die Stöße von Akten, die sich wie ein Wasserfall auf seinen Schreibtisch ergossen.
»Ich bin so weit hinterher, dass ich einen Rückspiegel brauche«, scherzte er.
»Dann ist es wohl sinnlos, Sie zu drängen«, sagte ich.
Das John Marshal Courts Building war zu Fuß nur zehn Minuten von unserem neuen Gebäude entfernt, und ich dachte, ein bisschen Bewegung würde mir gut tun. Der Morgen war klar, die Luft kühl und rein, als ich dem Bürgersteig der Leigh Street folgte und dann in südlicher Richtung in die Neunte einbog. Ich kam am Polizeipräsidium vorbei, den Riemen der Umhängetasche über der Schulter und einen Ziehharmonikaordner unter dem Arm.
Der Fall, der heute Morgen zur Verhandlung anstand, war die banale Folge dessen, dass ein Drogendealer einen anderen umgebracht hatte, und ich wunderte mich, wenigstens ein Dutzend Reporter auf dem Flur vor dem Verhandlungssaal im dritten Stock anzutreffen. Zuerst glaubte ich, dass Rose mir einen falschen Termin eingetragen hätte, denn ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Presse meinetwegen da sein könnte. Doch kaum hatte die Meute mich erblickt, stürzte sie mit geschulterten Fernsehkameras, gezückten Mikrofonen un d Blitzlicht auf mich zu. Erst war ich verblüfft, dann wurde ich wütend.
»Dr. Scarpetta, wie lautet Ihre Reaktion auf Carrie Grethens Brief?«, fragte
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