Brandherd
entlangbegleiteten. »Die entsprechenden Stämme müssen über das informiert werden, was wir besitzen, und die dürfen dann tatsächlich bestimmen, was zu geschehen hat. In ein paar Jahren wird unser Material der amerikanischen Indianer womöglich wieder in der Erde liegen, um dann, vermute ich, im nächsten Jahrhundert von Archäologen wieder ausgegraben zu werden.«
Er sprach weiter, während er uns führte.
»Die einzelnen Gruppen sind in letzter Zeit so in Rage , dass sie gar nicht erkennen, wie sehr sie sich selbst schaden. Wenn wir nicht von den Toten lernen, von wem dann?«
»Alex, Sie rennen bei mir offene Türen ein«, sagte ich.
»Na ja, also wenn mein Urgroßvater in einer dieser Schubladen steckte«, versetzte Marino, »ich weiß nicht, ob ich das so toll fände.«
»Aber der springende Punkt ist doch, dass wir nicht wissen, wer in diesen Schubladen steckt, und ebenso wenig wissen das die Leute, die sich jetzt aufregen«, sagte Vessey. »Was wir sicher wissen, ist, dass diese Beispiele uns geholfen haben, mehr über die Krankheiten der amerikanisch-indianischen Bevölkerung in Erfahrung zu bringen, was zweifellos von Nutzen für diejenigen ist, die sich jetzt bedroht fühlen. Ach, besser, ich fange gar nicht erst davon an.«
Vesseys Wirkungsstätte war eine Reihe kleiner, höchst unübersichtlicher Laborräume, in denen sich schwarze Arbeitsplatten, Becken und Tausende von Büchern und Kästen mit Dias und Fachzeitschriften drängten. Hier und dort waren die üblichen Schrumpfköpfe, zertrümmerten Schädel und diverse Tierknochen, die man fälschlich für menschliche Gebeine gehalten hatte, ausgestellt. An einer Korkpinnwand hingen große, erschütternde Fotos der Folgen von Waco, wo Vessey Wochen damit zugebracht hatte, die verwesenden, verbrannten Überreste von Branch Davidianern wieder zu finden und zu identifizieren.
»Und nun lassen Sie mal sehen, was Sie für mich haben«, sagte Vessey.
Ich setzte mein Paket auf eine Arbeitsplatte, und er schlitzte das Klebeband mit einem Taschenmesser auf. Styropor raschelte, als ich erst die Schädeldecke, dann die sehr zerbrechliche untere Partie des Schädels ausgrub, z u der die Gesichtsknochen gehörten. Ich legte alles auf ein sauberes blaues Tuch, und er knipste die Lampen an und holte eine Lupe.
»Genau hier.« Ich zeigte ihm den feinen Einschnitt im Knochen.
»Er entspricht einem Bluterguss im Schläfenbereich. Doch drum herum war das Fleisch zu sehr verbrannt, um irgendeinen Aufschluss darüber zuzulassen, mit welcher Art von Verletzung wir es zu tun haben. Ich hatte keinen Anhaltspunkt, bis ich diese Stelle am Knochen gefunden habe.«
»Ein sehr gerader Schnitt«, sagte er, während er den Schädel langsam drehte, um ihn aus unterschiedlichen Gesichtswinkeln zu betrachten. »Und das kann nicht vielleicht zufällig während der Autopsie passiert sein, beispielsweise, als man die Kopfschwarte zurückgebogen hat, um die Schädeldecke zu entfernen?«
»Auf keinen Fall«, sagte ich. »Und wie Sie sehen können, wenn Sie die beiden Teile zusammensetzen« - ich setzte die Schädeldecke auf den unteren Teil -, »liegt der Schnitt etwa fünf Zentimeter unterhalb der Stelle, wo der Schädel während der Obduktion geöffnet worden ist. Und obendrein ist das ein Winkel, der unsinnig wäre, wollte man die Kopfschwarte zurückbiegen. Sehen Sie?«
Mein Zeigefinger war auf einmal riesig, als ich durch die Lupe schaute und ihn bewegte.
»Dieser Einschnitt verläuft vertikal statt horizontal«, schloss ich.
»Sie haben Recht«, sagte er, und sein Gesicht vibrierte vor Interesse. »Es wäre völlig unsinnig, die Autopsie damit in Verbindung zu bringen, es sei denn, Ihr Assistent wäre betrunken gewesen.«
»Könnte das nicht vielleicht eine Verletzung sein, die be i der Abwehr des Angreifers entstanden ist?«, gab Marino zu bedenken.
»Sie verstehen - wenn jemand mit dem Messer auf sie losgeht. Sie kämpfen miteinander, und sie bekommt einen Schnitt im Gesicht ab?«
»Das ist durchaus möglich«, sagte Vessey, während er fortfuhr, den Knochen Millimeter für Millimeter unter die Lupe zu nehmen. »Ich finde es jedoch merkwürdig, dass dieser Einschnitt so fein und so präzise ist. Und er scheint auch durchgehend dieselbe Tiefe zu haben, was ungewöhnlich wäre, wenn einer mit dem Messer auf jemanden losgeht. Im Allgemeinen müsste der Schnitt in den Knochen an der Stelle tiefer sein, wo die Klinge zuerst aufgetroffen ist, und dann in dem Maße flacher,
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