Brandung des Herzens
wäre ich nicht da, weil sich Mädchen eigentlich nicht für Pferde und Ernte und ferne Länder interessieren sollten?«
»Was hat das alles zu tun mit...«
»Erinnerst du dich?« fragte Willow mit einer Stimme, die von unterdrückten Emotionen bebte.
»Zum Teufel, ja, natürlich erinnere ich mich.«
»Das war alles, was mir noch geblieben war. Erinnerungen und eine Schachtel voller Yankee-Banknoten und Besatzungsgeld der Konföderierten, das völlig wertlos war, außer daß man damit ein Feuer anzünden konnte. Der Mond ging abends immer noch auf, aber die Heuwiesen und die weiß umzäunten Koppeln waren verschwunden. Unsere Veranda und das Haus sind eines Winterabends abgebrannt. Die kleine Kirche, wo Mama und Papa geheiratet hatten und wir alle getauft wurden, brannte ebenfalls nieder, und nichts blieb übrig, bis auf ein paar schiefe Fundamentreste, die sich wie Geister aus dem Unkraut erhoben.«
»Willy«, begann Reno unglücklich, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Nein, laß mich ausreden, Matthew. Ich konnte nicht nur von Erinnerungen leben. Ich bin ein Mädchen, aber auch ich habe meine Träume. Ich hatte alle deine Briefe aufgehoben. Als der letzte kam, der Brief, in dem du um Hilfe gebeten hast, habe ich alles verkauft, was von dem zerstörten Land übriggeblieben war, habe an Mr. Edwards geschrieben und bin dann in Richtung Westen aufgebrochen. Das Geld reichte gerade für die Reise. Caleb Black war bereit, mein Führer zu sein und mich in die Berge von San Juan zu bringen.« Sie lächelte traurig. »Aber ich kann ihm nicht die versprochenen fünfzig Dollar bezahlen.«
»So ist das also gelaufen? Hast du dich verkauft, nur um...«, begann Reno wutentbrannt.
»Nein!« unterbrach Willow ihn. »Nein, so ist es nicht«, wiederholte sie in etwas ruhigerem Ton. Sie schloß einen Moment die Augen, bevor sie ihren Bruder unverwandt anschaute. »Ich wünschte, Caleb hätte mir auf unserer Farm in West Virginia den Hof machen können. Er hätte Papa Komplimente über seine edlen Vollblüter gemacht und Mama über ihr Spinettspiel und mir über meine Backkünste. Nach dem Dinner hätte Caleb mit meinen Brüdern auf der Veranda gesessen und sich mit ihnen über die Ernte und Pferde und das Wetter unterhalten...«
Reno setzte zum Sprechen an, nur um festzustellen, daß er keine Worte fand, die der Sehnsucht in Willows Augen gleichkamen.
»Aber es sollte nicht sein«, fuhr sie fort. »Mama und Papa sind tot, fast alle meine Pferde wurden von Soldaten gestohlen, das Land ist zerstört, und meine Brüder sind über die ganze Welt verstreut.«
Reno streckte die Hand nach Willow aus, doch sie wich aus.
»Ich weiß nicht, was die Zukunft für mich bereithält«, sagte sie leise. »Aber eines weiß ich. Wenn es sein muß, werde ich die Vergangenheit hinter mir lassen, sie abstreifen wie eine Schlange ihre alte Haut. Die gesamte Vergangenheit, Matthew. Sogar dich.«
»Willy...«, flüsterte Reno und streckte die Arme nach ihr aus. »Bitte weich nicht vor mir zurück.«
Ein erstickter Laut entrang sich Willows Kehle, als sie zu ihrem Bruder trat, ihn mit beiden Armen umschlang und seine Umarmung mit aller Kraft erwiderte.
»Es wird alles wieder gut werden, Willy«, murmelte Reno tröstend und schloß die Augen, um die kalte Entschlossenheit in seinem Blick zu verbergen. »Alles wird wieder gut. Ich sorge dafür, Willy.«
Als Caleb ins Lager zurückkehrte, teilte Willow gerade das letzte Rehfleisch aus, das sie während ihres Aufenthalts in dem kleinen, versteckten Tal durch Räuchern haltbar gemacht hatten. Reno nahm sich ein Stück, kaute darauf herum und stieß einen überraschten Laut aus.
»Wild.«
Willow nickte. »Wir haben es in dem kleinen Tal geräuchert, während Deuce seine Verletzungen auskurierte.«
»Wundert mich, daß Caleb es riskiert hat, ein Reh zu schießen.«
»Das habe ich nicht«, erwiderte Caleb hinter Renos Rücken. »Ich habe mich an das Reh angeschlichen und ihm dann die Kehle durchgeschnitten.«
Reno fuhr mit einer Schnelligkeit herum, die erschreckend war. Seine dunklen Brauen hoben sich überrascht. »Für einen Mann deiner Größe bewegst du dich wirklich enorm leise. Ich werd’s mir merken.«
»Warum?« fragte Willow scharf. »Du bist ja kein Reh.«
Das Lächeln, das Reno Caleb zeigte, war alles andere als beruhigend. Es sollte auch nicht so wirken. Doch als sich Reno erneut zu Willow umdrehte, war sein Lächeln wieder freundlich und sanft.
»Zünde ein kleines
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