Brandung des Herzens
nicht, warum du mich so haßt. Es geht um mehr als Willow, richtig?«
»Ja.« Unmittelbar darauf sog Caleb scharf die Luft ein, als ihm klarwurde, daß es nicht stimmte. Jetzt nicht mehr. Ihm blieb nur noch sehr wenig Zeit mit Willow. Und wenn es sein mußte, würde er um jede einzelne Minute kämpfen, mit allen Mitteln und mit seiner ganzen Kraft. »Stell dich nicht zwischen mich und Willow, Reno. Du wirst nur verletzt werden, und das wiederum wird Willow verletzen. Aber sie ist meine Geliebte. Wenn sie neben mir schlafen will, dann wird sie niemand daran hindern.«
Willows Stimme tönte gedämpft vom Feuer herüber. »Caleb? Matt? Stimmt mit den Pferden irgendwas nicht?«
»Alles in Ordnung. Es geht ihnen gut, Liebste«, rief Caleb zurück.
»Bist du zu müde, um Mundharmonika zu spielen ? Reno hat eine wunderbare Stimme.«
»Ich werde gerne für dich spielen.«
Reno warf Caleb einen frustrierten Blick zu und sagte leise: »Sobald sie eingeschlafen ist, reden wir.«
»Verlaß dich drauf.«
Caleb drängte sich an Reno vorbei und eilte zu dem winzigen Feuer zurück und zu dem Mädchen, das lächelnd die Arme nach ihm ausstreckte und ihn mit einer Mischung aus Besorgnis Und Erleichterung in den Augen beobachtete. Sie fühlte sich
unbehaglich, wann immer ihr Bruder und Caleb allein miteinander waren.
»Bist du wirklich nicht zu müde?« fragte sie Caleb.
Er beugte sich zu ihr herab und drückte einen schnellen, harten Kuß auf ihre Lippen. »Ich bin niemals zu müde, um dir eine Freude zu machen.«
Willow klammerte sich an ihn und flüsterte hastig: »Matt meint es nur gut. Bitte, sei nicht böse.«
Caleb umarmte sie flüchtig, dann löste er sich von Willow und setzte sich ein paar Schritte vom Feuer entfernt auf den Boden. Bevor Willow noch etwas sagen konnte, stiegen die klagenden Töne einer alten Ballade über den Flammen auf, erzählten die Geschichte eines jungen Mädchens, das überzeugt war, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Nach wenigen Sekunden brach Caleb abrupt ab. Erst als er die schwermütigen Klänge hörte, wurde ihm bewußt, was er da spielte. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen bei dem grausamen Trick, den ihm sein Unterbewußtsein gespielt hatte. Das Lied war eines von Rebeccas Lieblingsliedern gewesen, denn die Worte berichteten von einem Mädchen, das zum ersten Mal verliebt war und an die Zukunft dachte, die bald die ihre sein würde.
Ich weiß, wohin ich gehe.
Ich weiß, wer mit mir geht.
Willow und Matt sangen eine Harmonie, die durch ihre Einfachheit nur um so süßer und eindringlicher wirkte. Die Schönheit von Willows Stimme überraschte Caleb, weil sie bisher noch nie gesungen hatte, wenn er im Tal Mundharmonika spielte. Sie hatte sich einfach neben ihm zusammengerollt und mit einem verträumten Lächeln der Verzückung in die Flammen gestarrt.
Das nächste Lied, das Caleb spielte, war ebenfalls eine Liebesballade, doch die Frau ging fort, überließ es dem Mann, sich seiner Zukunft zu stellen, die keine Kinder oder die Sanftheit einer Frau für ihn bereithielt. In der dritten Ballade war es der Mann, der auf und davon ging, die Frau, die ihm nachtrauerte.
Ohne zu zögern sangen Reno und Willow jedes Lied, und ihre Stimmen verschmolzen mühelos zu einer Einheit, denn die Moran-Familie hatte manch kalten Winterabend damit verbracht, gemeinsam vor dem Kaminfeuer zu singen.
Beide, Bruder und Schwester, brachen schließlich im Laufe des vierten Liedes ab und verstummten. Die sanfte Stimme der Mundharmonika weinte in schmelzenden Akkorden, die keine menschliche Stimme mitzusingen vermochte.
Willow lauschte auf die schwermütige Melodie und fühlte eine Gänsehaut über ihre Haut prickeln. Sie hatte das Lied schon viele Male zuvor gehört, hatte es als Mädchen selbst oft gesungen, und sie hatte dabei gelächelt, denn die tragischen Worte hatten ihr eigenes Leben im Gegensatz dazu nur noch süßer erscheinen lassen. Doch als diesmal die letzten Töne zitternd in der Dunkelheit verklangen, kam kein Lächeln über ihre Lippen. Tränen glitzerten an ihren Wimpern und hinterließen schmale Silberspuren auf ihren Wangen.
Schweigend erhob sich Caleb und streckte ihr seine Hand hin. Willow stand auf und ergriff sie wortlos. Erleichterung durchströmte ihn. Erst in dem Augenblick ging ihm auf, wie sehr er befürchtet hatte, die Gegenwart ihres Bruders würde Willow davon abhalten, zu ihm zu kommen.
»Gute Nacht, Matt«, sagte sie.
Reno nickte nur knapp, denn er traute
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