Brandzeichen
feststellte, dass sie nicht missbraucht worden sei, aber Verletzungen der Luftröhre, sowie an Armen und Rippen davongetragen habe.
Die Polizei hatte die Eltern, Großeltern, Lehrer, Nachbarn und Freunde befragt, dabei aber nichts herausgefunden. Die Befragungsprotokolle waren dem Bericht beigefügt, und Diane las sie aufmerksam durch, wobei ihr einige Dinge auffielen. Dazu gehörte der Bericht über eine Joggerin, die etwa zum Zeitpunkt von Juliets Entführung auf der Straße vor deren Haus gestürzt war. Einige Nachbarn, einschließlich Juliets Mutter, hatten dies beobachtet. Zwei Nachbarn hatten ihr sogar wieder aufgeholfen. Doch trotz eines Aufrufs in der Ortszeitung gelang es der Polizei später nicht, sie zu finden. Ebenso interessant war der Bericht eines Nachbarskindes, das ein Jahr älter als Juliet war. Es hatte Juliet angeblich eine Stunde, bevor sie als vermisst gemeldet wurde, sagen hören: »Ich kenne Sie nicht.« Das ließ darauf schließen, dass Juliet die Person, mit der sie sprach, nicht kannte. War das einfach nur ein Fremder gewesen, oder handelte es sich dabei um den Entführer?
Diane fragte sich, ob der Sturz dieser Frau etwa nur ein Ablenkungsmanöver war, das die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf die Straße und weg von der Rückseite der Häuser lenken sollte, wo sie vielleicht Juliets Entführung hätten beobachten können. Eigentlich hätte sie erwartet, dass die Polizei ein Phantombild dieser Joggerin hätte anfertigen lassen. Als sie allerdings den Polizeibericht danach absuchte, konnte sie nichts Derartiges finden.
Sie griff nun nach der Tonbandkassette, wog sie in der Hand und betrachtete sie, bevor sie sie in den Kassettenrekorder schob. Sie zögerte etwas, Juliet bei einer ihrer Sitzungen bei Laura zuzuhören. Irgendwie hatte sie das Gefühl, damit auf unangebrachte Weise in die Privatsphäre eines anderen Menschen einzudringen. Allerdings hatte es Juliet selbst ja für eine gute Idee gehalten … Diane zog sich Kopfhörer auf und drückte auf die Start-Taste.
»Juliet, erzählen Sie mir, woran Sie sich erinnern.« Es war Lauras Stimme.
Es fehlte offenbar die Einleitung des Gesprächs. Laura hatte das Band offensichtlich bearbeitet und Stellen herausgeschnitten. Diane fühlte sich erleichtert.
»Es war dunkel, und ich konnte kaum atmen. Ich habe Angst vor dem Eingeschlossensein«, sagte Juliet. Ihre Stimme war leise und sanft.
»Erzählen Sie mir nur, woran Sie sich erinnern. Über Ihre Ängste reden wir später«, sagte Laura.
»Ich erinnere mich an die Dunkelheit und an etwas in meinen Augen, das weh tat. Daran erinnere ich mich. Ich weiß nicht, wann das war – ich könnte draußen gespielt haben, soweit ich weiß«, sagte Juliet.
»Das ist schon okay. Im Moment wollen wir uns nur auf Ihre bewussten Erinnerungen konzentrieren«, sagte Laura. »Haben Sie noch irgendwelche anderen Erinnerungen, die Ihnen Angst machen, die Ihnen rätselhaft erscheinen oder die irgendwie nicht zu dem passen, was Ihnen die Eltern über Ihre Kindheit erzählt haben?«, fragte Laura weiter.
Einige Augenblicke herrschte Schweigen. »Ich hatte eine Puppe, von der Großmutter behauptet hat, ich hätte sie gestohlen. Das hatte ich bestimmt nicht, aber ich weiß auch nicht, woher ich sie hatte«, sagte Juliet. »Großmutter war ziemlich streng, aber wir hatten auch Spaß miteinander, wenn sie backte oder wenn wir am Strand Muscheln sammelten.«
Es gab eine kleine Pause, während der Diane Juliet atmen hören konnte.
»Ich erinnere mich an einen dunklen Raum mit neuen Puppen, und dann erinnere ich mich an eine Babypuppe, und ich erinnere mich, dass ich in diesem Raum Angst hatte.« Sie machte erneut eine Pause. »Der Raum hatte Parkettboden.« Juliet lachte. »Aber ich habe keine Angst vor Parkettböden.«
Diane hörte, wie Laura in ihr Lachen einstimmte.
»Ich erinnere mich, dass ich vor etwas weggerannt bin«, fuhr Juliet fort, »weiß aber nicht, wovor. Ich erinnere mich, dass jemand sagte: ›Sie hat gesagt, dass du es genommen hast.‹ Ich weiß allerdings nicht, ob sich alle diese Erinnerungen auf dieselbe Sache beziehen, aber ich verspüre dieselbe große Angst, wenn ich an sie denke. Ich habe nur sehr wenige Erinnerungen an die Zeit vor meinem achten Lebensjahr. Ich war ja sieben, als das passiert ist, aber ich kann mich überhaupt nicht mehr an meine Entführung erinnern. Ich weiß nicht, ob irgendeine dieser Erinnerungen etwas mit diesem Kidnapping zu tun hat. Ich träumte früher oft
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