Brann 01 - Seelentrinkerin
Jaril zu Branns Fenster hinaus und flogen auf weiten Eulenschwingen zu dem gewaltigen Palast, der sich vom Felsgestein des feuerherzigen Cynamacamals erhob. Brann lehnte sich mit der Hüfte aufs Fenstersims und sah die beiden zwischen den zerfransten Wolken verschwinden, blieb noch für ein Weilchen am Fenster, genoß den feuchten kühlen Wind, der vom Fluß heraufwehte. Hinter ihr lag ein langer Tag. Vollständige Dunkelheit hatte geherrscht, ehe sie sich von Sammangs Seite loszureißen vermochte, sie traf gerade noch rechtzeitig wieder in der Herberge ein, um Taguiloas Erfolg mitfeiern zu können. Danach war sie von neuem auf Jagd ausgezogen. Nun kauerte sie auf dem Fensterbrett, das dünne Seidengewand dem schwachen Wind geöffnet, erinnerte sich an das Gefühl von Sammangs rauhem, starkem Körper an ihrem Leib, seinen Geruch, die harte Glattheit seiner Haut, die Lockigkeit seines Haars. Sie sah den Wunden Mond über die Stadtmauer aufsteigen, er war ziemlich schmal und ging spät auf, bis zur Morgendämmerung blieben nur noch wenige Stunden, und spürte tief in ihrem Innern ein Schnurren, das kein Teil von ihr war, ein bißchen ärgerte sie sich darüber, es verdroß sie, und sie hoffte, daß Sammang nicht gemerkt hatte, Slya war durch ihn vielleicht im gleichen Maße befriedigt worden wie Brann. Sie räkelte sich und gähnte, ließ sich vom Fensterbrett gleiten, tappte zum Bett, streifte unterwegs das Gewand ab, so daß es auf den Fußboden fiel, streckte sich auf der Wollmatratze aus, sank sogleich tief, tief in traumlosen Schlaf.
Yaril und Jaril kreisten über den Hauptgebäuden des Kaiserpalastes, drehten plötzlich eilends ab und sausten davon, als drunten irgend etwas Bösartiges, Wachsames sie wahrnahm und nach ihnen griff, mit langen unsichtbaren Fingern in die Luft krallte. Sie erklommen größere Höhen, hörten für eine Weile auf zu denken, waren eine Zeitlang nur Eulen, bis sie merkten, wie jene Finger zurücksanken, wie der ganze Palast sich zu verschließen schien wie eine Blutige Lilie im Morgengrauen. Einige Zeit hindurch schwebten sie in den Wolken umher, schwirrten dann abwärts und flogen in geringer Höhe erneut auf den Palast zu, machten die Unterkünfte der Garde ausfindig, die beengten Wohnräume der Bediensteten, die weit großzügiger bemessen ausgestatteten Ställe der Apfelschimmel des Kaisers sowie die sorgsam gepflegten Reitbahnen, auf denen sich diese Ungeheuer tummelten, die Werkstätten und Treibhäuser, die Gießerei, die Glashütte mit ihren Schmelzöfen, die Gemüsegärten, bis sie eine zwischen den Verwerfungen des Bergs errichtete neue Anlage entdeckten, ein abgetrenntes Grundstück, das noch nach frischem Mörtel und erst kürzlich geschlagenem Holz roch. Hohe Mauern umgaben es, ein Wachturm überragte ein schweres verriegeltes Tor. Über dem Tor loderten Fackeln und erhellten dessen Umgebung, im Turm brannten Lampen, die Wächter dösten, doch waren sie immerhin so aufmerksam, daß das geringste verdächtige Geräusch sie hochscheuchen konnte. Die zwei Eulen überflogen die Mauer und setzten sich auf einen Firstbalken, verflüchtigten sich zu hellem Geflimmer und sanken durch die Dachziegel ins Innere des Gebäudes.
Es umfaßte geräumige Werkstätten. Gut eingerichtet, obwohl man keine stählernen Werkzeuge sah. Entweder waren sie über Nacht weggeschlossen oder fortgebracht worden, oder man hielt sie zurück, bis die Menschen, die sie benutzen sollten, so weit unterworfen waren, daß das Vorhandensein solcher Werkzeuge weder eine Gefahr für sie noch für die Wächter bedeutete. Die beiden Kinder schwebten als Lichtschlieren durch die Werkstätten zu den Unterkünften. Eine Kammer nach der anderen fanden sie leer vor, dann dort einen Schlafenden, da noch einen, danach weitere leere Räumlichkeiten. Nur zwölf Personen waren in dem weitläufigen Bauwerk untergebracht, von den rund vierzig Bewohnern Arth Slyas, die zur Messe nach Grannsha gereist waren, lebte nur noch ein Dutzend. Im Gegensatz dazu, was der Pimush geäußert hatte — vielleicht hatte er bloß irgend etwas dahergeplappert, um seinen Nachdem sie die gesamte Anlage abgesucht und sich dessen vergewissert hatten, daß man nicht noch in diesem oder jenem Winkel irgendwen festhielt, schwebten die Wandelkinder nochmals in die belegten Kammern, ermittelten die Namen der Bewohner, um Brann berichten zu können, wen sie gefunden hatten, sie erkannten jeden, weil sie wußten, was Brann wußte.
Tod
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