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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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hinauszuschieben —, konnten die Temueng mit den Sklaven aus Arth Slya keinesfalls sanft umgesprungen sein. Beiläufig fragten sich die Wandelkinder, ob der Kaiser eigentlich noch auf seine zweimal hundert Sklaven aus dem Tal Arth Slyas hoffen, ob der Sribush, der die Eroberungsstreitmacht befehligte, mittlerweile des Wartens überdrüssig geworden sein und Kundschafter ausgeschickt haben mochte, um feststellen zu lassen, was es mit dem Ausbleiben des Pimush und seiner Gefangenen auf sich hatte.
    Callim. Branns Vater. Man hatte ihn geprügelt, wahrscheinlich weil er sich zu arbeiten geweigert hatte. Er war auf dem Wege der Besserung, man mußte ihm die Prügel bereits vor etlichen Tagen verabreicht haben, die Striemen waren klebrig von Salbe, er schnarchte ausgestreckt auf der einzigen Pritsche der Kammer, zuckte im Schlaf, wenn ihm Fliegen über den Rücken krabbelten. Cathar, Branns ältester Bruder, schlief zusammengekrümmt in der Ecke auf einer Matte; Duran, ihr jüngerer Bruder, saß neben dem Bett in einem Stuhl und döste, verscheuchte ab und zu, wenn er aufschrak, die Fliegen.
    Im Nebenraum saß mit schlaffer Miene und stumpfen Augen ein Mann und zupfte mit den Fingern unaufhörlich an gar nichts: Ohm Idadro, der Kupferstecher und Einlegekünstler, ein Mensch, der sich stets durch übertriebene, peinliche Genauigkeit ausgezeichnet hatte, nie war er sonderlich begabt im Umgang mit Fremden gewesen, darum war in den meisten Jahren seine Gemahlin Glynis zur Messe gereist, bis sie unvermutet an einer Herzschwäche starb und ihn ohne festen Halt zurückließ — sein letzter Rettungsanker wider die Zumutungen der Welt war Trithin, sein Ältester —, allein zurechtzukommen war er völlig außerstande. Dieses Jahr hatte er Trithin nach Grannsha zur Messe mitgenommen, der Jüngling war gesegnet mit Frohsinn und der Fröhlichkeit seiner Mutter und konnte gut mit Menschen umgehen. Kleinen Freund aller Welt hatte man ihn als Säugling und auch noch als Kleinkind genannt. Nirgends auf dem Grundstück befand sich eine Spur von Trithin; vielleicht lebte er, hielt sich andernorts auf, aber keines der Wandelkinder glaubte daran, sie erachteten es als wahrscheinlicher, daß der Wunde Mond eines Tages wieder heil und ganz aufging, als daß man Trithin jemals lebend wiedersehen würde.
    Dies war die Liste der Lebenden, die sie Brann später vortrugen: Callim, Cathar, Duran, Trayan, Garrag, Reanna, Theras, Camm, Finn, Farra, Fann und Idadro. Acht Männer, vier Weiber.
    So lautete das Verzeichnis der Toten: Trithin, Sintra, Warra, Wayim, Lotta, Doranynn, Imath, Lethra, Iannos und Rossha.
    Nach Beendigung dieser abschließenden Untersuchung schwebten die beiden Lichtkleckse in der Mitte einer leeren Räumlichkeit, sangen zueinander die Fragen, die sie offen sahen. Was war das Etwas im Palast, das Ding mit den unsichtbaren Fingern? Wie machtvoll war es, daß es nicht nur den Kaiser dazu verleitete, Völkermord zu verüben, sondern gar Slya dazu bewogen hatte, verdeckt zu handeln, sie beide aus den heimatlichen Räumen zu verstoßen, zu Brann zu senden, damit sie sie veränderten und zu einem Gefäß für Slya machten, Slya die Möglichkeit hatte, in menschlicher Gestalt Durat aufzusuchen und ihren Feind zu bekämpfen? Sie umkreisten einander und sangen das Lied ihrer Ungewißheiten. Sollten sie ihre Überlegungen Brann mitteilen? Manches wußte sie bereits, ihr war längst klar, daß Slya gleichzeitig in ihr und im Tincreal schlummerte, Slya sie geradeso antrieb, wie sie die Felsen und das Gestein des Tincreals bewegte, ohne die mindeste Rücksicht auf sie und jene, die Brann etwas bedeuteten. Die Wandelkinder betrachteten diese Rücksichtslosigkeit mit einem Gefühl der Kälte in ihren Glutleibern, das ihr Glimmen verblassen ließ, sie beinahe in ihre Form des Tiefen Schlafs umwandelte, die Kristallgestalt, die Angehörige ihres Volkes annahmen, wenn ihre Körper keine Kräfte mehr gespeichert hatten und für längere Frist keine Auffrischung zu erwarten stand, eine Ruheform, die kein Tod war, aber eine Verfassung, die ihr Volk nicht schätzte, vielmehr wendete es erheblichen Einfallsreichtum auf, um ihn zu vermeiden, außer wenn statt dessen der Verfall des wirklichen Todes drohte, ein Zerfall in Asche und Nichts, als wären sie ausgebrannte Sterne. Während sie da schwebten, schauderte es den Wandelkindern, sie fürchteten sich stärker, als sie sich je gefürchtet hatten, seit sie an den Hängen des Tincreals erwacht waren

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