Brann 01 - Seelentrinkerin
denen Vergnügungsboote lagen, sowohl mit Segeln, wie auch solche, die bestückt waren mit Ruderbänken. Auf dem See selbst war es still und ruhig, das Wasser spiegelte das Grau der Wolken wider, die sich am Himmel dick zusammenballten. Regen fiel nicht, nur das gräuliche Licht dieses Nachmittags und eine dumpfigfeuchte Hitze herrschten, die das Gehen sogar auf solchen weißen Steinstraßen, so sauber, glänzend und leblos wie Muscheln am Strand, zur Plackerei machten. Ab und zu kamen Grüppchen junger Temuengburschen auf ihren hochgezüchteten Schlachtrössern die breite Prunkstraße heruntergesprengt, sie johlten und grölten, scherten sich nicht darum, wen sie niedergaloppierten, manchmal hetzten sie gar einen unglückseligen Sklaven bis zum Zusammenbruch, ließen ihn dann als verkrümmtes Häufchen Elend liegen und sein Plebejerblut auf den teuren Stein fließen. Taguiloas Begleiter trug an einer Stange unübersehbar ein Schild mit einer Abbildung des Siegels Maratulliks, deshalb wagten sich die Reiter an ihnen nicht zu vergreifen.
Maratulliks Meslak umfaßte ein ausgedehntes, weitläufiges Grundstück am Ufer des Sees, ein Reitplatz gehörte dazu, es gab Gebäude mit Werkstätten und Gesindehäuser, große Gärten; das Meslak konnte sich innerhalb seiner Außenmauern selbständig versorgen, sollte es infolge irgendeines Unheils oder einer Bedrohung in eine Festung verwandelt werden müssen. Taguiloa folgte dem Sklaven durchs Eingangstor und durch die großflächigen, sehr förmlich angelegten Prachtgärten mit ihren Springbrunnen und farbenreichen Blumenbeeten, sorgfältig gepflegten und geschnittenen Rasen; er schaute sich nach allen Seiten um, dachte an das laute, von Ratten geplagte Fremdenviertel und begriff, daß er, müßte er sich unbedingt zwischen diesen zwei Möglichkeiten entscheiden, würde er nicht diese Leere, sondern Lärm und Ratten vorziehen, doch war es sehr unwahrscheinlich, daß er jemals vor einer solchen Wahl stehen würde; was er sich zu verschaffen gedachte, war eine weniger abwegige Möglichkeit, nämlich die Aussicht, den Armenvierteln fernbleiben zu können, dafür zu sorgen, daß er und Schwarzdorn (sobald es einmal soweit war) noch ein einigermaßen behagliches, angenehmes Leben führen durften, wenn seine Beine nicht mehr mitmachten, sein Körper nicht länger tat, was sein Wille verlangte. Was er gegenwärtig hatte, genügte ihm vollständig: Stille, Meditation, Gemütlichkeit im Häuschen am Hügel, lautes Treiben und Erregendes in den Nächten Sililis.
Über eine Viertelstunde verstrich, bis sie durch die Prachtgärten und eine Reihe von Fluren in einen kleinen Wintergarten gelangten, in dessen Mitte leise ein Brünnlein gluckerte, Gehänge und Garben winziger Orchideen leuchteten, einer Art, wie Taguiloa sie noch nie gesehen hatte, ein stämmiges Bäumchen wuchs unterm Glas, mit Seilen und Rollen bewegten Sklaven im Innern des Hauses Fächer, nie sahen sie die Schönheit, die sie kühlten. An verschiedenen Stellen standen Weidensessel, manche einzeln, manche in kleinen Gruppen, aber Taguiloa verspürte trotz des zweistündigen Laufens und der Schmerzen seiner Füße keine Versuchung, sich hinzusetzen. Er bewegte die Schultern, spannte und lockerte die Muskeln, versuchte Gelassenheit zu bewahren. Es hatte keinerlei Sinn, sich über den Temueng zu ärgern, und zudem sprach eine ganze Anzahl von Vernunftgründen dagegen. Er war sich darüber im klaren, daß er seinen Mißmut verheimlichen mußte. Untertänigkeit fiel ihm nicht mehr leicht, in den vergangenen fünf Jahren hatte er sich diese Unart abgewöhnt, doch alles, was er in Silili erreicht hatte, zählte hier nicht im geringsten.
Meslar Maratullik, Berater des Kaisers und seine Linke Hand, betrat den Wintergarten mit der katzenhaften Geschmeidigkeit und den lautlosen Schritten eines erfahrenen, geschickten Jägers. Für einen Temueng war er kleinwüchsig, obwohl er Taguiloa um einen Kopf überragte; sein Gesicht war runder, als man es von Temueng kannte, weniger knochig, die Gesichtszüge nicht so grob wie bei den meisten Temueng. Er trug ein enges dunkelgraues Gewand aus schwerer dunkelgrauer Seide und von vornehmem Schnitt, in dieser Schlichtheit wirkte es bereits wieder anmaßend. Während sich Taguiloa mit der vorgeschriebenen Ehrerbietigkeit tief verbeugte, wurde es ihm innerlich plötzlich eisig kalt, als er erwog, ob es irgendwann unter den Vorfahren der Linken Hand einmal Hinablut gegeben haben mochte. Falls es
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