Brann 01 - Seelentrinkerin
Ihre Hand sank in den Schoß, als die Otter ihr Spiel urplötzlich unterbrachen und zwischen den Bäumen verschwanden.
Über den Wipfeln glommen zwei leuchtende Erscheinungen, die goldenen, auf die Luft gemalten Schlieren glichen, kamen gleich darauf näher, während sie dem Verlauf des Bachs folgten, wechselten ständig den Ort, schwangen sich tief aufs Wasser herunter, sausten wieder höher. Brann spähte ihnen entgegen, durch ihr Flimmern und Glimmern sowie ihr unheimliches Singen, eine Art von hellem Gesumme — mal schnell, mal langsam, manchmal nachgerade unerträglich süß —, in einen regelrechten Bann gezogen. Sie hockte sich auf die Fersen, lächelte ihnen zu, den zur Erde herabgekommenen Stückchen der Sonne.
Ruckartig verhielten sie, als hätten sie sie irgendwie gesehen, summten herüber, nahten sich ihr, indem sie immer engere Kreise um sie zogen, dann schossen sie auf sie zu, sausten wiederholt durch sie hindurch. Brann stieß einen verhaltenen Schrei der Bestürzung aus, sackte auf dem warmen Fels zusammen.
Schon wenige Herzschläge später erwachte sie so plötzlich, wie sie das Bewußtsein verloren hatte. Zwei Kinder saßen am Ufer des Bachs, betrachteten sie aus kristallglitzernden Augen, blasse kleine Geschöpfe mit aschblondem rundgeschnittenen Haar, seidig und ganz glatt, ein Schopf etwas heller als der andere. Das Paar war sich dermaßen ähnlich, daß Brann nicht begriff, wieso sie sofort im einen Kind einen Knaben und im zweiten ein Mädchen erkannte. Beide trugen Blusen und Hosen, die kaum von Branns Kleidung abwichen, und sah man einmal von ihren recht ungeheuren, unmenschlichen Augen ab, so unterschieden sie sich wenig von den Kindern, die sich drunten im Tal tummelten. Das Mädchen lächelte Brann ernst zu. »Ich bin Yaril. Das ist Jaril. Du bist Brann.«
Brann stemmte sich hoch, bis sie erneut den Fersensitz einnahm. »Ich habe euch meinen Namen nicht verraten.« Yaril nickte, beantwortete die unausgesprochene Frage jedoch nicht. Jaril hörte nicht zu. Er schaute sich alles ringsherum mit einem Eifer an, als hätte er noch nie so etwas wie blauen Himmel gesehen, von Wind durchrauschte Zedern, Schmetterlinge überm Bach und Wasserjungfern, die hin- und herflitzten, wie Otter, die an Böschungen entlangstrichen, die schwarzen Knopfaugen licht und voller Neugierde, wie Fische, die zum Fressen an die Oberfläche schwammen und auf dem Wasserspiegel kleine Wellenringe erzeugten. »Woher stammt ihr? Wo sind eure Eltern?«
Yaril blickte, während sie sich an der kleinen geraden Nase schabte, Jaril an. »Wir sind die Bergkinder.«
»Hä?«
»Geboren aus Feuer und Fels«, sagte Yaril in andächtigem Tonfall, der nach Erhabenheit klang.
Ungläubig musterte Brann sie. »Sei nicht albern!«
»Es stimmt. Gewissermaßen.« Yaril maß Brann eindringlichen Blicks.
In Branns Kopf begann es zu kribbeln wie von winzigen Fingerchen; sie schnitt eine böse Miene, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Laß das sein!« Sie richtete sich auf, floh vom Felsen ins Gras, umkreiste das Paar vorsichtig.
»Hab keine Furcht, Brann!« Hastig stand auch Yaril auf, streckte ihr die Hand entgegen. »Bitte hab keine Furcht! Wir wollen dir nichts antun. Jaril, erklär's ihr!«
Brann wich immer weiter zurück, bis sie die Bäume erreichte, dann wirbelte sie herum und flüchtete in die Schatten. Hinter sich hörte sie das helle süße Singen der Sonnenschlieren, und schon gaukelten vor ihr Flecken gelben Lichts zwischen den Bäumen. Die Lichter sanken herab auf die rote Erde, verwandelten sich, und mit einem Mal standen da Yaril und Jaril, erwarteten sie. Außer sich vor Entsetzen schlug Brann einen Haken und rannte in eine andere Richtung. Das Summen folgte ihr, erneut durchlohte das Leuchten Brann, koste sie, streichelte sie innen und außen, besänftigte sie, versuchte ihr die Furcht zu nehmen. Sie fiel in den Dreck, hatte Erde im Mund, in der Nase und den Augen, das war das letzte, an das sie sich später erinnerte, der Geschmack des Bergs im Mund.
Als sie wiederum erwachte, ruhte ihr Kopf in Jarils Schoß, neben ihr kniete Yaril, strich ihr über die Stirn. Brann wollte aufspringen, doch die Arme des Knaben, der sie festhielt, waren zu stark, obwohl sie gar nicht so recht glauben konnte, daß es sie wirklich gab. Steif wie ein Brett blieb sie liegen, harrte dessen, was die beiden mit ihr vorhaben mochten. »Seht!« machte Yaril. »Seht, Brombeer-voller-Dornen, hab vor uns keine Furcht. Wir brauchen dich,
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