Brann 01 - Seelentrinkerin
daran läßt sich nichts ändern. Aber wir werden dir nichts antun. Bitte glaub mir.«
Jaril tätschelte Brann die Schulter. »Wir brauchen dich, aber wir werden dir nichts antun«, sagte er, seine Stimme klang nahezu genauso wie die seiner Schwester, allerdings geringfügig dunkler, so wie auch sein Haar sich durch eine leicht dunklere Färbung auszeichnete. Er äußerte ein Brummen, als aus dem Berg ein Grollen drang, der Untergrund wankte, das dritte Beben am heutigen Tag. »Du solltest eure Ortschaft warnen, Brombeer-voller-Dornen, diese Hügel werden alsbald bersten ... Hmmmm, um eure Ausdrucksweise zu verwenden, Slya wird bald mit Bauchschmerzen aufwachen und über alles rundum ihr Morgenmahl erbrechen.«
Brann entwand sich seinem Griff, stand wacklig auf. Sie schaute zur Sonne, doch sie stand zu tief im Westen, war über die Baumkronen hinweg nicht zu erkennen. »Huch, es ist spät geworden! Mama wird mir so viel Haare ausreißen, daß mein Kopf kahl wird.« Sie entfernte sich hangabwärts. »Kommt mit!« sagte sie über die Schulter, weil die Sitten im Tal es erforderten. »Es ist fast Zeit fürs Abendessen. Ihr könnt mit uns essen. Mama ist bestimmt einverstanden.«
Die Kinder holten sie ein, als sie an den Bach gelangte und daran entlangstrebte. »Was euer Abendessen angeht«, sagte Yaril, »verhält's sich so, daß wir eure Art von Nahrung nicht verzehren. Ich muß es dir wohl erklären ...« Sie verstummte und sah ihren Bruder an. »Zu früh? Ich bin anderer Meinung. Du kennst den Grund. Nun gut, es ist wohl so, daß es 'n großer Brocken ist, um ihn auf einmal zu schlucken.« Yaril blinzelte, als sie von neuem Branns Blick erwiderte, sie merkte, daß sie mit beträchtlichem Interesse lauschte. »Verzeih uns«, sagte sie, »wir vergessen das gute Benehmen. Wir werden uns gern zu euch gesellen, wenngleich nicht um der Mahlzeit willen, sondern um eure Ortschaft zu warnen, was den Berg betrifft.«
»Macht euch deswegen keine Sorgen! Slya ist schon oft erwacht, wir kennen ihre Launen, wir leben seit tausend oder mehr Jahren in ihrer Nachbarschaft.« Brann lief hurtiger durch die stets längeren Schatten, achtete trotz der Eile darauf, wohin sie die Füße setzte, sprang von Stein zu Stein, rannte über Wiesen, rutschte auf Ansammlungen abgefallener glatter brauner Nadeln aus, bewahrte das Gleichgewicht, während sie an umstehenden Bäumen Halt erhaschte, erreichte im Laufschritt den Pfad, der von den hohen Brennöfen zur Werkstatt führte. An der Werkstatt eilte sie die Außentreppen hinauf, stieß die Tür auf. »Immer, Zeit zum Essen!«
Sie erhielt keine Antwort. Ratlos ging sie hinein, durchquerte die Räumlichkeiten. Niemand war da. Das war seltsam. Sie trampelte hinaus zu den Kindern, empfand nun doch Besorgnis. Immer arbeitete täglich bis zum Anbruch der Dunkelheit. Jeden Tag.
Von den Werkstätten aus war der Weg ins Tal breit und ausgetreten, verließ an der Ausblickshöh das Wäldchen, verlief durch zwei Biegungen und endete beim Landungssteg am Fluß. Brann spürte einen kalten Klumpen im Magen, während sie den Wg entlangrannte, wurde jedoch langsamer, als sie sich dem Waldrand näherte, verharrte dort, spähte hinunter ins Tal. Sie konnte es zum größten Teil überblicken, sah durch die Mitte den Strom fließen, die verstreuten Häuser und Werkstätten, die Äcker mit dem Getreide, die Kühe, Schafe und Pferde, auch die ausgedehnte Fläche bläulichen Felsgesteins, die Tanzplatte hieß und an deren Westseite die Galaradeiche wuchs, die Brann für den größten und ältesten Baum der Welt hielt. Auf der weißen Sandstraße zwischen den Häusern hätten Kinder spielen müssen. Arbeiter hätten von den Feldern heimkommen, vor den Werkstätten Leute stehen sollen. Am Fluß hätten auf den Bänken die Alten sitzen müssen, um noch ein wenig von der letzten Wärme des Tages oder die erste abendliche Kühle mitzukriegen, zu plaudern und Geschichten zu erzählen, während sie sich mit einfachen Handarbeiten beschäftigten. Doch nichts davon war der Fall.
Krieger trieben die Dörfler zum Tanzplatz, wo sich eigentlich die Töchter des Tals mit der Yongala hätten treffen müssen, um den Berg zurück in seinen Schlummer zu tanzen. Brann biß die Zähne zusammen, um zu verhindern, daß ihr das Kinn zitterte, aber die Erschütterung war ihr bereits bis tief ins Mark gedrungen. Sie schloß die Augen. Mehr zu sehen, konnte sie nicht verkraften. Deshalb ist Slya so unruhig, niemand tanzt ihre Grimmen
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