Brann 01 - Seelentrinkerin
Arm. »Mit Slyas Segen wirst du damit Glück haben.«
Er seufzte. »Falls nicht, geb ich's auf, Brombeerchen. Dann mag 'n Yongala-Schiedsspruch gefällt werden. Ich fürchte, sonst wird gar keine Entscheidung herbeigeführt.«
Brann tätschelte ihn nochmals am Arm, streifte anschließend durch die Werkstatt, reinigte Werkzeug, rückte die Ware in den Vorratsnischen zurecht, kehrte die kleinen Staubansammlungen und großen Spinnweben fort, hatte dabei ihren Spaß, niemand schalt sie dafür, im Weg zu sein, kein ungeduldiger älterer Bruder jagte sie hinaus. Während sie ein Häufchen Kehricht und Scherben zur Tür fegte, erbebte der Boden, wirbelte Staub auf; es war lediglich eine ganz winzige Regung des Bergs, sie endete sofort. »Schlaf, Slya, Slya, schlaf«, sang Brann, indem sie Unrat und Scherben nochmals zusammen- und endlich zur Tür hinauskehrte.
Sie verweilte auf der Schwelle, hatte ihre Freude am hellen frischen Morgen, schaute durchs grüne Geflecht von Birkenlaub hinauf zum Himmel, so klar wie das Wasser im Bächlein, das an der Werkstatt vorübergluckerte. Sie genoß die kühle Luft, schüttelte den Besen aus, lehnte ihn an die Mauer, schlang sich ihre Tragetasche um und stieg am Bach entlang bergan, hüpfte von Stein zu Stein, wanderte zu ihrem bevorzugten Sonnenplatz auf einem bis in den Bachlauf vorgeschobenen Felsklotz. Darauf konnte sie liegen und den Kopf über die Kante hängen lassen, die glänzenden Fische durchs Wasser schießen sehen. Oder sie konnte dasitzen und die Vierfüßler beobachten, die zum Trinken ans Ufer kamen. Wenn sie so still wie der Stein unter ihr saß, fanden sich sogar Kitzen mit ihren Muttertieren ein, um an der grasigen Böschung umherzutollen.
Am Morgen vor Arth Slyas Zerstörung hockte Brann auf dem Fels und schaute hellblauen Mondfisch-Schnäppern zu, die unter Geschrei durch die Luft sausten, zwei der Vögel hatten es auf den Fisch abgesehen, der in den Krallen eines ihrer Artgenossen zappelte. Brann hatte den Eindruck gewonnen, daß es ihnen allemal mehr Vergnügen bereitete, einander Fische zu entreißen, statt selber welche zu fangen, obwohl ein Mondfisch-Schnäpper, damit überhaupt solche räuberische Zänkereien ausbrachen, von selbiger Neigung abweichen und sich erst einmal einen eigenen Fisch greifen mußte.
Als der Streit ausgestanden war und der siegreiche Mondfisch-Schnäpper sich mit seiner Beute in größere Höhen schwang, schöpfte Brann Wasser, spritzte es sich ins Gesicht; die Sonne schien allmählich sehr warm. Sie begab sich auf die nahe Lichtung, wo es kühle Schatten gab, es würzig nach Zedern roch, holte den Zeichenblock heraus und wartete auf die Schar Coynos, die sich gewöhnlich um diese Zeit hier zeigte.
An Arth Slyas letztem Tag bebte und dröhnte der Berg, Gestein rutschte die Hänge herab, so daß Brann Furcht packte, die sie mit einem rituellen Tanz vertrieb, mit dem Schlaflied, und danach ging sie, um sich das schwärzliche Zedernharz von den Händen zu waschen.
Nachdem sie sich die Hände gesäubert hatte, streifte sie über des Tincreals Abhänge, zum Zeichnen zu ruhelos geworden. Sie vermißte ihren Vater. Zwar liebte sie ihre Mutter, wußte sich umgekehrt auch von ihr geliebt, doch verkörperte ihre Mutter nicht die gleiche Art von Nähe, überwiegend beanspruchten ihre Tätigkeit und der neue Säugling sie, Feuerschopf Ruan, die in einem Körbchen beim Webstuhl schlief, dem Surren und Krachen lauschte, so wie einst auch Brann als Wickelkind ihm gelauscht hatte, atmete im Einklang mit den Geräuschen des Webstuhls, wurde von seinem ständigen tröstlichen Lied eingelullt. Brann beneidete Ruan, verabscheute jedoch gleichzeitig dies Gefühl, sie wußte recht genau, wie der Rest ihres Lebens beschaffen sein würde, dagegen empfand sie Auflehnung, sie brauchte Zeit für sich selbst, spürte auch, daß man ihr eine Frist ließ, ärgerte sich über das gelassene Verständnis ihrer Umgebung. Im Tal wußte jeder über jedermanns Angelegenheiten Bescheid, wußte sogar, wie sich jeder andere — in nahezu jedem Fall — unter diesen oder jenen Umständen verhalten würde, noch bevor derjenige selbst darüber Klarheit erlangte. Nur eineinhalb Monate trennten Brann noch von ihrem elften Geburtstag, dem Tag der Berufung. Er fiel auf denselben Tag wie der hundertste Geburtstag Ältesten Ohms, ein Riesenfest sollte stattfinden, auch für sie, und zum Schluß mußte sie ihre Berufung bekanntgeben, ihre Entscheidung für die Kunst oder das
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